Question to the brain

Kreativer durch analoges Arbeiten?

Published: 24.02.2019

Doris Reich fragt: Stimmt es, dass beim analogen Arbeiten mit den Händen mehr Hirnregionen beteiligt sind und ich dadurch kreativer bin und auf mehr Ideen komme?

The editor's reply is:

PD Dr. habil. Christiane Neuhaus, Musik- und Neurowissenschaftlerin an der Universität Hamburg

Zunächst einmal möchte ich festhalten, dass Kreativität, also die Fähigkeit, etwas Neues zu schaffen, nicht nur Künstlern und Wissenschaftlern vorbehalten ist. Jeder hat Kreativität in sich, und seit Joy Paul Guilford wissen wir, dass dies messbar ist. Der US-amerikanische Psychologe unterschied in den 1950er Jahren zwischen Alltags- und außerordentlicher Kreativität. Mit psychometrischen Tests wie dem „Alternativen Nutzungstest“, machte Guilford die Fähigkeit, Assoziationen und Analogien zu bilden, messbar. Dabei sollten beispielsweise einem gewöhnlichen Begriff wie „Schuh“ ungewöhnliche Anwendungsbereiche, wie Blumentopf oder Hammer, zugeordnet werden.

Wie aber funktioniert die Alltagskreativität? Der britische Psychologe Graham Wallas hat in seinem 1926 veröffentlichten Buch „The Art of Thought“ kreatives Denken und den Schaffensvorgang als solchen in vier Phasen eingeteilt, die er Präparation, Inkubation, Erkenntnis (Insight) und Evaluation nannte.

Die erste Phase kann man auch als Recherche bezeichnen. Man beschäftigt sich bewusst mit der Fragestellung und mit bereits existierenden Lösungsansätzen. Bis man an einen Punkt kommt, an dem es nicht weiter geht. Hier beginnt die zweite Phase, die von Minuten bis zu Monaten dauern kann. Einer Theorie zufolge gelangt das Recherchierte ins aktive Unterbewusstsein, wo es dem Bewusstsein nicht zugänglich ist. Man beschäftigt sich mit anderen Dingen, lässt die Aufgabe ruhen oder lenkt sich bewusst ab, wodurch die Einseitigkeit des bisherigen Denkansatzes gelockert wird. Der Gedanke bleibt noch unterschwellig, erlangt aber irgendwann eine erhöhte Intensität, die einem dann in Phase drei als Aha-Moment schlagartig wieder ins Bewusstsein gelangt. In der vierten Phase wird die Idee bewusst auf die Umsetzbarkeit hin überprüft. Diese Unterteilung des kreativen Schaffensprozesses nach Wallas gilt noch heute als plausibles Modell.

Hierbei ist es völlig unerheblich, ob die Kreativität analog oder digital geschieht, ob ich mit meinen Händen auf dem Klavier spiele, eine Leinwand bearbeite, am Computer einen Text formuliere oder im Geiste eine mathematische Formel entwickele.

Entscheidender ist, vom intentionalen, also zielgerichteten Denkmodus Abstand zu nehmen und sich kleine Phasen zu gönnen, in denen das Gehirn in den Leerlaufmodus schalten kann. In diesen Phasen des Tagträumens („mind wandering“) ist ein Netzwerk von Gehirnarealen aktiv, dass man Default Mode Network nennt. Es ist immer dann aktiv, wenn man gerade nicht aufgabenbezogen denkt. Zu diesem Netzwerk gehören der mediale präfrontale Cortex unterhalb des Arbeitsgedächtnisses, der posteriore cinguläre Cortex, also ein Bereich aus dem limbischen System, aber auch Teile des seitlichen und mittleren temporalen Cortex und beidseitig der anguläre Gyrus. Wann immer man sich eine Pause gönnt und das Gehirn in den Leerlaufmodus bringt, wird dieses Netzwerk aktiv.

Die Weiterverarbeitung unterhalb der Bewusstseinsschwelle ist entscheidend für die Entwicklung ungewöhnlicher Lösungsansätze. Man kann sich nicht vornehmen kreativ zu sein, denn das ist von der Denkstrategie her mit der Arbeitsweise des Arbeitsgedächtnisses verbunden, das im oberen Bereich des präfrontalen Cortex verortet wird. Aktivierung dieser Gehirnregion wird mit Vorgängen wie kritischer Selbsteinschätzung und Selbstkontrolle in Verbindung gebracht, die ja kreativen Prozessen gerade entgegenstehen.

Das Arbeitsgedächtnis muss also deaktiviert sein, um Kreativität zu erlauben, und dazu dienen Ablenkungsphasen. Die kann man auch selbst herbeiführen. Die Beschäftigung mit automatisierten Handlungen und haptischen Dingen wie Spazieren gehen oder sich einen Kaffee zu kochen, kann dazu führen, dass man ein Thema aus einer anderer Perspektive heraus aufgreift und im Anschluss erfrischt neue Lösungsansätze findet, wo man es zuvor nicht konnte, weil man zu sehr einem bestimmten Denkpfad anhing.

Auch kann dies dazu führen, dass das aktive Unterbewusstsein bereits in dieser Phase die vielen zuvor aufgenommenen Impulse zu einem Lösungsansatz zusammenfügt. Wenn dieser Gedanke dann eine gewisse Intensität erreicht, erlebt die betreffende Person eine Form von Geistesblitz, ein Bewusstwerden der Idee. Auch das kann man messen. Der Moment, wenn einzelne Merkmale zu einer holistischen Einheit zusammengeformt werden, ist mit einer spezifischen, elektrischen Hirnaktivität (Gamma Aktivität) verbunden, die man mit einem Elektroenzephalographen (EEG) messen kann. Das ist die Idee, die wir dann haben.

Fazit: Digitales Arbeiten muss nicht mit weniger Kreativität verbunden sein, als wenn man permanent analog arbeitet. Wichtiger ist, dass man sich kleine Phasen des mind wandering gönnt, um durch diese Form der kognitiven Auflockerung von einer anderen Perspektive aus an ein Thema heranzugehen, oder in dieser Phase das aktive Unterbewusstsein so verselbständigt arbeiten zu lassen, dass man auf einen gewissen ungewöhnlichen oder neuen Lösungsansatz kommt.

Aufgezeichnet von Jochen Müller

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Cortex

Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex

Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.

Arbeitsgedächtnis

Arbeitsgedächtnis/-/working memory

Eine Form des Kurzzeitgedächtnisses. Es beinhaltet gerade aufgenommene Informationen und die Gedanken darüber, also Gedächtnisinhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht werden. Das Konzept beinhaltet nach Alan Baddeley eine zentrale Exekutive, eine phonologische Schleife und ein visuell-​räumliches Notizbuch.

Präfrontaler Cortex

Präfrontaler Cortex/-/prefrontal cortex

Der vordere Teil des Frontallappens, kurz PFC ist ein wichtiges Integrationszentrum des Cortex (Großhirnrinde): Hier laufen sensorische Informationen zusammen, werden entsprechende Reaktionen entworfen und Emotionen reguliert. Der PFC gilt als Sitz der exekutiven Funktionen (die das eigene Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen der Umwelt steuern) und des Arbeitsgedächtnisses. Auch spielt er bei der Bewertung des Schmerzreizes eine entscheidende Rolle.

Arbeitsgedächtnis

Arbeitsgedächtnis/-/working memory

Eine Form des Kurzzeitgedächtnisses. Es beinhaltet gerade aufgenommene Informationen und die Gedanken darüber, also Gedächtnisinhalte aus dem Langzeitgedächtnis, die mit den neuen Informationen in Verbindung gebracht werden. Das Konzept beinhaltet nach Alan Baddeley eine zentrale Exekutive, eine phonologische Schleife und ein visuell-​räumliches Notizbuch.

EEG

Elektroencephalogramm/-/electroencephalography

Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.

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