Question to the brain
Warum fließt die Kreativität unter der Dusche?
Published: 25.04.2021
Geistesblitze kommen gerne dann, wenn wir sie am wenigsten erwarten. Woran liegt das eigentlich?
The editor's reply is:
Dr. Lena Steindorf, Psychologisches Institut der Universität Heidelberg: Es gibt immer wieder Erzählungen von Menschen, denen gute Einfälle kommen, wenn sie sich gerade mit etwas ganz anderem beschäftigen. Besonders bekannt ist etwa die Geschichte, dass Isaak Newton die Idee zur Gravitationstheorie im Obstgarten bekommen haben soll. Anderen kommen die Geistesblitze eben in der Dusche. Der Ort spielt dabei nicht unbedingt eine Rolle. Es geht vielmehr darum, dass die Gedanken nicht auf ein spezielles Problem gerichtet sind, sondern dass sie schweifen können.
Um das zu erklären, schauen wir uns den Verlauf eines kreativen Prozesses an. Hier haben wir zunächst eine Kurzzeitphase, in der wir aktiv und bewusst nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Oft können wir das Problem aber nicht direkt lösen: Dann kommt es zu einer Langzeitphase, in der die Verarbeitung eher unbewusst, indirekt und assoziativ abläuft. Das ungelöste Problem ist uns „im Hinterkopf“ und wir holen es immer wieder hervor. Da wir währenddessen aber meist etwas ganz anderes tun, ist die Verarbeitung nicht mehr aktiv – und vielleicht im negativen Sinne zwanghaft – auf das Problem gerichtet.
Studien zeigen, dass wir uns im Alltag etwa zu 30 bis 50 Prozent gedanklich mit anderen Dingen beschäftigen als mit dem, was wir gerade tun. Das kann nervig und störend sein, wenn es eine aktive Verarbeitungsphase unterbricht. So wird beispielsweise das Leseverständnis durch ständiges Abschweifen gestört. Andererseits helfen uns diese oft unbewussten Prozesse, für die Zukunft zu planen, Gedächtnisinhalte aufzufrischen und mental durch die Zeit zu reisen. Ungelöste Probleme können wir so manchmal „wie von selbst“ lösen.
Ein anderer Aspekt ist das Umfeld: Wenn wir nicht nur am Schreibtisch, sondern auch mal in der Küche, beim Spaziergang oder unter der Dusche an eine bestimmte Fragestellung denken, können wir überall neue Assoziationen bilden. Das hilft uns, andere Perspektiven einzunehmen und das Problem mit unterschiedlichen Kontexten zu verknüpfen.
Erzwingen lässt sich das aber nicht. In einer Studie haben wir den Teilnehmenden ein bestimmtes kreatives Problem präsentiert. Einige von ihnen bekamen dann die Möglichkeit, gedanklich abzuschweifen. Eine andere Gruppe musste stattdessen eine sehr schwere Aufgabe lösen – ohne Zeit für eine „abschweifende“ Problem-Verarbeitung. Hier zeigte sich: Die Möglichkeit des Abschweifens reichte nicht aus, um kreative Prozesse zu fördern. Sowas muss wahrscheinlich eher natürlich kommen und entsteht gerade in einer Laborsituation nicht.
Dennoch fördern leichte Aufgaben das Abschweifen, wenn wir uns nicht allzu sehr auf unsere derzeitige Aktivität konzentrieren müssen. Gerade deshalb bieten Spaziergänge oder die Dusche besonders viel Raum für kreative Einfälle.
Die Ideen sind übrigens nicht notwendigerweise „die besten“. Aber es hat sich gezeigt, dass abschweifende Gedanken häufiger zu „Aha“-Momenten führen – also besonders dann hilfreich sind, wenn wir an einem Problem festsitzen und lange Zeit einfach nicht auf die Lösung kommen.
Aufgezeichnet von Stefanie Uhrig