Frage an das Gehirn
Adventsrituale für die Seele?
Veröffentlicht: 21.11.2021
Lichter, Gewürze, gemeinsames Singen. Ich habe gehört, dass sich das positiv auf die Stimmung in der dunklen Jahreszeit auswirkt. Was ist dran?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Antwort von Univ.-Prof. Dr. Philipp Yorck Herzberg, Professorfür Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Helmut-Schmidt-Universität/ Universität der Bundeswehr Hamburg: Die typischen Rituale, Düfte und Eindrücke der Weihnachtszeit verbinden viele Menschen mit positiven Erfahrungen aus ihrer Kindheit. Früh haben sie gelernt, dass diese Dinge mit guten Gefühlen gekoppelt sind. Vielleicht duftete es früher beim Backen mit den Großeltern nach Nelken und Vanille. Oder die ganze Familie hat zusammen gesungen. Kindheitserinnerungen sind unbewusst abgespeichert und im Gehirn sehr gut verdrahtet. Wenn wir wieder in eine ähnliche Situation kommen wie damals, werden die gleichen Bereiche im Gehirn wieder aktiviert. Dadurch schüttet der Körper vermehrt das Glückshormon Serotonin aus.
Rituale für die kalte Jahreszeit sind seit langer Zeit etabliert, als die Winter für die Menschen noch härter und kälter waren als heute und man wenig zu essen hatte. Sie haben geholfen, darüber hinwegzukommen und fanden so Eingang in das Kulturgut. Die religionsstiftenden Institutionen haben Rituale weiter verankert. Auch heute noch sind diese Rituale von der Gesellschaft als positiv und erwünscht markiert – daran orientieren wir uns. Manchen Menschen können Adventstraditionen allerdings auch aus genau diesem Grund unangenehm sein, etwa weil sie eine alternative Vorstellung vom Leben haben.
Viele Adventsrituale leben von der Gemeinsamkeit. Der Mensch hat das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Das wird befriedigt, wenn wir mit Menschen gemeinsam etwas tun, die im besten Fall auch noch ähnliche Ansichten teilen wie wir. Rituale stärken die Gemeinschaft aus mehreren Gründen besonders: Sie sind bekannt, jeder weiß, wie sie ablaufen und kann automatisch mitmachen. Wie stark Rituale Menschen aneinander binden, zeigen auch Ergebnisse aus meiner Forschung mit Paaren. Paare, die positive gemeinsame Rituale in ihrer Beziehung etablieren, sind die glücklicheren Paare. Und nicht umsonst gibt es auch bei der Mafia und ähnlichen Verbindungen Rituale: Sie erzeugen und vertiefen das Gefühl von Zusammengehörigkeit.
Einige Rituale haben darüber hinaus auch eine direkte körperliche Auswirkung. Singen zum Beispiel lässt uns tiefer atmen, aktiviert bestimmte Nerven im Gesicht. Wir stehen dabei meist aufrecht und weiten den Brustkorb. Kommen dazu die meist vom Thema Zuversicht geprägten Texte der Weihnachtslieder, bewegt uns das emotional stark.
Rituale wirken also tatsächlich meist positiv auf unsere Stimmung. Jedoch gibt es auch Menschen, die Adventsrituale oder Rituale im Allgemeinen noch nicht für sich entdeckt haben und sie nicht so positiv verknüpfen wie andere Menschen. Sei es, weil in ihrer Kindheit kaum Rituale praktiziert wurden oder weil sie damit sogar negative Erfahrungen verbinden.
Aus persönlichkeitspsychologischer Sicht kann ich sagen: Auch diese Menschen können bis ins hohe Alter Rituale immer noch als Ressource kennenlernen. Suchen Sie sich eigene. Das könnte zum Beispiel heißen, mit der ersten Tasse Tee am Morgen auf den Balkon zu treten, statt aufs Handy zu schauen. Finden Sie heraus, was Ihnen gut tut und was nicht. So nutzen Sie die Weihnachtszeit als Zeit des Innehaltens und der Kontemplation, die sie traditionell ist. Wer auf diese Weise Adventsrituale für sich entdeckt, kann Halt und Erdung erfahren.
Aufgezeichnet von Natalie Steinmann.
Serotonin
Serotonin/-/serotonin
Ein Neurotransmitter, der bei der Informationsübertragung zwischen Neuronen an deren Synapsen als Botenstoff dient. Er wird primär in den Raphé-Kernen des Mesencephalons produziert und spielt eine maßgebliche Rolle bei Schlaf und Wachsamkeit, sowie der emotionalen Befindlichkeit.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.