Frage an das Gehirn
Was ist das Hochstapler-Syndrom?
Veröffentlicht: 19.11.2023
Was steckt hinter dem Impostor- oder Hochstapler-Syndrom? Wie häufig ist es?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Dr. Kay Brauer, Institut für Psychologie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Der Begriff Hochstapler-Syndrom (engl. Impostor syndrom) wird gern in der Populärliteratur verwendet. An sich ist es aber kein Syndrom. Es ist also kein klinisches Phänomen, keine Störung, keine Ansammlung von Symptomen die man hat.
Vielmehr sprechen wir vom Hochstapler-Phänomen. Es beschreibt eine Persönlichkeitsvariable. Dabei bewegen wir uns alle auf einem Kontinuum von geringen bis hohen Ausprägungen in der Selbstwahrnehmung unserer eigenen Erfolge. Obwohl es objektive Beweise gibt wie Zeugnisse, Feedback von Vorgesetzten, MitschülerInnen oder KommilitonInnen, denken wir, dass diese Erfolge nur Schwindel sind und jemand herausfinden könnte, dass wir in Wirklichkeit keine Fähigkeit besitzen, um irgendwelche Aufgaben anzugehen oder zu lösen. Dabei kann es sehr spezifisch um bestimmte Tests gehen. Meistens aber geht es um ein größeres Gefühl, im Bezug auf Leistungsaufgaben. Das ist ganz wichtig: Es geht um Leistungen, etwa im akademischen Bereich, und nicht um soziale Performance.
Häufig ist es so, dass Menschen mit starker Ausprägung des Hochstapler-Phänomens typischerweise den Erfolg als Zufall oder Glück wahrnehmen, etwa: „Im Bewerbungsprozess ist ein Fehler passiert und dadurch habe ich die Stelle bekommen. Es liegt aber nicht daran, dass ich sehr gut bin.“ Wenn man mit dieser Sicht durch die Welt geht, hat man in Folge dessen Angst als Schwindler oder Hochstapler „entlarvt“ zu werden. Das geht einher mit eingeschränktem Wohlbefinden bis hin zu Ängstlichkeit, Depressivität. Diese Symptome sind jedoch nicht so schlimm, dass sie klinisch wären.
Das kognitive Muster, um dieses Phänomen aufrecht zu erhalten, ist, dass die Personen bei einer Leistungsaufgabe mit zwei extremen Reaktionen antworten können: Entweder prokrastinieren die Personen, sie schieben die Aufgabe also ganz lang vor sich her, oder sie stürzen sich so in die Arbeit, dass sie sich damit selbst schon schaden. Das interessante ist, obwohl die Personen ja fähig sind, sie die Aufgabe gut bewältigen können, verbinden sie den Erfolg dann aber entweder mit ihrem hohen Fleiß oder wieder mit Glück und Zufall. Bei einer Prüfung könnte beispielsweise der Grund für den Erfolg darin liegen, dass durch Zufall das abgefragt wurde, wozu man was sagen konnte. So hält sich das Phänomen immer aufrecht.
Dadurch, dass das Phänomen keine Störung ist in Form von „hat man oder hat man nicht“, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal, wie Intro- und Extrovertiertheit, kann man sagen, dass wohl jeder in seinem Leben irgendwann eine solche Erfahrung machen wird. Die meisten Menschen liegen in der Ausprägung im Mittelbereich, wenige Menschen haben die ganze Zeit eine ganz starke Ausprägung und ebenso wenige Menschen haben immer eine ganz schwache Ausprägung des Phänomens. Daher kann man also nicht sagen, dass ein bestimmter Prozentanteil der Menschen dieses Phänomen hat. Ein Problem liegt auch in der Erfassung des Phänomens: Es gibt einen Selbstberichtsfragebogen mit 20 Statements und Fragestellungen, die man über sich selbst berichtet, die typische Erlebens- und Verhaltensweisen zum Hochstapler Phänomen beschreiben. Es existiert jedoch kein Schwellenwert, ab dem man dieses Persönlichkeitsmerkmal hat. Man kann es nur als Dimension von geringer bis starker Ausprägung verstehen.
Aufgezeichnet von Stefanie Flunkert.