Riecher für erdige Noten

© J. Agric. Food Chem. 2024, 72, 28, 15865-15874/ CC.by-nc 4.0
Vom Duftstoff zum Rezeptor

Erstmals menschlicher Geruchsrezeptor für Geosmin identifiziert

Source: Leibniz-Institut für Molekulare Pharmakologie

Published: 01.08.2024

Geosmin ist eine flüchtige Verbindung mikrobiellen Ursprungs mit einem ausgeprägt "erdigen" bis "muffigen" Geruch, der die Qualität von Trinkwasser und Lebensmitteln beeinträchtigen kann. Ein Forschungsteam um Dietmar Krautwurst vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München hat nun erstmals den menschlichen Geruchsrezeptor für Geosmin identifiziert und charakterisiert.

Geosmin ist verantwortlich für den typischen Geruch, der entsteht, wenn Regen auf trockenen Boden fällt. Dieser Duftstoff wird unter anderem von Mikroorganismen im Boden produziert und kommt auch in Pflanzen wie Kakteen und Rote Bete vor.

Viele Lebewesen reagieren sehr empfindlich auf Geosmin, wobei der Geruchsstoff abstoßend oder anziehend wirken kann. So warnt er Fruchtfliegen vor verdorbener Nahrung. Kamele lockt er dagegen in wasserreiche Gebiete. „Das zeigt, dass Geosmin im Tierreich und sicher auch beim Menschen als chemischer Signalstoff fungiert“, erklärt Erstautorin Lena Ball vom Leibniz-Institut.

Geosmin kann Lebensmittelqualität beeinträchtigen

„Während der Geruch von Geosmin zu Rote Bete passt, ist sein Auftreten in Lebensmitteln wie Fisch, Bohnen, Kakao, Wasser, Wein oder Traubensaft problematisch. In diesen beeinträchtigt er die sensorische Qualität und Akzeptanz sehr stark“, erklärt Stephanie Frank, Lebensmittelchemikerin am Leibniz-Institut. Dabei reichen bereits geringste Konzentrationen von 4 bis 10 ng/L für einen Menschen aus, um den Geruch in Wasser wahrzunehmen. Das entspricht etwa einem Teelöffel Geosmin in der Wassermenge von 200 olympischen Schwimmbecken.

Obwohl Geosmin seit 1965 bekannt und für die Lebensmittelproduktion bedeutsam ist, war bisher unbekannt, mit welchem Geruchsrezeptor Menschen den Duftstoff wahrnehmen. Das Team um Studienleiter Dietmar Krautwurst hat nun ein bidirektionales Rezeptor-Screening durchgeführt und erstmals den entsprechenden Rezeptor identifiziert und funktionell charakterisiert.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Nur ein menschlicher Geruchsrezeptor für Geosmin

Von 616 überprüften menschlichen Geruchsrezeptorvarianten sprach nur der Rezeptor OR11A1 auf physiologisch relevante Konzentrationen des Duftstoffs an. Das Team untersuchte zudem, ob der identifizierte Rezeptor auf weitere lebensmittelrelevante Geruchsstoffe reagiert. Von 177 getesteten Substanzen konnte lediglich das erdig riechende 2-Ethylfenchol den Rezeptor signifikant aktivieren, das ebenfalls mikrobiellen Ursprungs ist.

„Da Geosmin ein wichtiger Signalstoff im Tierreich ist, haben wir darüber hinaus untersucht, wie diejenigen Geruchsrezeptoren von Kängururatte, Maus, Rhesusaffe, Sumatra-Orang-Utan, Eisbär und Kamel auf Geosmin reagieren, die mit dem menschlichen Rezeptor genetisch am nächsten verwandt sind. Wir wollten so erfahren, ob die hochselektive Erkennung von Geosmin durch den gleichen Rezeptor in 100 Millionen Jahren Säugetierevolution erhalten geblieben ist“, berichtet Doktorandin Lena Ball. Wie die vergleichenden Untersuchungen des Teams zeigen, gehört der menschliche Rezeptor zusammen mit den Affenrezeptoren zu den weniger empfindlichen Sensoren. So reagierte der Geruchsrezeptor der Kängururatte im Experiment etwa 100-mal empfindlicher auf Geosmin als der menschliche Rezeptor.

„Die neuen Erkenntnisse über die hochempfindlichen Geruchsrezeptoren einiger Tiere betonen einmal mehr die biologische Relevanz von Geosmin als Signalstoff. Zudem könnten sie dabei helfen, neuartige Detektionssysteme zu entwickeln, mit denen sich die Lebensmittelqualität bei der Produktion und Lagerung überwachen oder die Wasserqualität von Süßwasserreservoirs kontrollieren lässt“, fasst Dietmar Krautwurst abschließend zusammen.

Rezeptor

Rezeptor/-/receptor

Signalempfänger in der Zellmembran. Chemisch gesehen ein Protein, das dafür verantwortlich ist, dass eine Zelle ein externes Signal mit einer bestimmten Reaktion beantwortet. Das externe Signal kann beispielsweise ein chemischer Botenstoff (Transmitter) sein, den eine aktivierte Nervenzelle in den synaptischen Spalt entlässt. Ein Rezeptor in der Membran der nachgeschalteten Zelle erkennt das Signal und sorgt dafür, dass diese Zelle ebenfalls aktiviert wird. Rezeptoren sind sowohl spezifisch für die Signalsubstanzen, auf die sie reagieren, als auch in Bezug auf die Antwortprozesse, die sie auslösen.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Originalpublikation

Ball, L., Frey, T., Haag, F., Frank, S., Hoffmann, S., Laska, M., Steinhaus, M., Neuhaus, K., and Krautwurst, D. (2024). Geosmin, a Food- and Water-Deteriorating Sesquiterpenoid and Ambivalent Semiochemical, Activates Evolutionary Conserved Receptor OR11A1. J Agric Food Chem. 10.1021/acs.jafc.4c01515. pubs.acs.org/doi/epdf/10.1021/acs.jafc.4c01515

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