Question to the brain
Kann man Fahrradfahren wieder verlernen?
Published: 24.05.2013
Jeder kennt den Spruch: „Das ist wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht.“ Aber stimmt es wirklich, dass Fahrradfahren im Gedächtnis bleibt?
The editor's reply is:
Prof. Dr. Boris Suchan vom Institut für kognitive Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum:
Fahrradfahren verlernt fast keiner. Das hängt mit den Speichern im Gehirn zusammen. Denn nicht alle Informationen landen in demselben Gedächtnis. Es gibt zum Beispiel das deklarative Gedächtnis, das sich in das episodische und semantische unterteilt. Im episodischen Gedächtnis werden auch Erfahrungen erinnert. Kommt es zu einer Störung, erkennt der Patient vielleicht seine Verwandten nicht mehr oder weiß nicht, dass er verheiratet ist. Das semantische Gedächtnis merkt sich Fakten: Wo der Eiffelturm steht, wer den Ersten Weltkrieg provoziert hat, oder die Aufteilung des Periodensystems der Elemente. Verantwortlich für diese beiden Gedächtnisse ist vor allem der Hippocampus, ein wurmähnliches Stück Hirnrinde tief im Inneren des Gehirns. Dieses System ist jedoch relativ störanfällig.
Sicherer sind Informationen tatsächlich im prozeduralen Gedächtnis aufgehoben. Hier werden Fertigkeiten gespeichert: motorische Bewegungsabläufe wie Skifahren, Tanzen oder eben Fahrradfahren. Entdeckt wurde dieser Gedächtnisteil bei einem Patienten, dessen Hippocampus entfernt worden war. Dabei hatten Ärzte große Teile des deklarativen Gedächtnisses zerstört. Ab seiner Operation konnte er sich keine neuen Dinge merken – wohl aber Tätigkeiten lernen.
Das zeigte sich eindrücklich bei einem Test. Der Patient sollte einen Stern nachzeichnen, den er im Spiegel sah. Die Schwierigkeit bestand darin, dass er auch die Bewegungen seiner Hand nur als Spiegelbild sah. Das ist keine leichte Aufgabe, weil das visuelle Feedback, das wir aus dem Spiegel bekommen, uns verwirrt. Dieser Patient wurde mit der Zeit immer schneller und besser. Dabei hat er nach jeder Übungseinheit wieder vergessen, dass er diese Aufgabe schon einmal bewältigt hat! Den Forschern war klar: Das Bewegungsgedächtnis musste an anderer Stelle verwurzelt sein.
Heute weiß man, das prozedurale Gedächtnis liegt in der linken Hemisphäre im Parietallappen und in den sogenannten Basalganglien. Bewegungen sind dort dauerhaft gespeichert, wenn man sie automatisch macht, nicht mehr über sie nachdenken muss. Wer einmal gelernt hat, sicher auf Skiern die Piste hinunterzukommen, braucht nach einer längeren Fahrpause vielleicht eine Eingewöhnungszeit. Doch schon bald wird er wieder auf dem alten Niveau fahren.
Ähnlich ist es auch mit dem Klavierspielen. Auch hier fängt man nach vielen Jahren nicht mehr bei Null an. Man muss nur seine Erinnerung auffrischen. Wie zeit– und übungsintensiv das ist, hängt vom Menschen selbst ab. Leichte Bewegungsabläufe bleiben präsenter als komplizierte Tanzschritte. Mit Stützrädern muss beim Fahrradfahren normalerweise keiner mehr üben, der irgendwann schon einmal sicher gefahren ist.
Trotzdem lässt sich auch eine relativ leichte Fähigkeit wie diese verlernen. Dazu müssen die Informationen jedoch durch eine Hirnschädigung gelöscht werden. Dann kann es sogar passieren, dass ein Profi-Tennisspieler keinen Ball mehr trifft. Wir Neuropsychologen sprechen von Apraxie: Der Körper ist gesund und beweglich. Auch eine Lähmung liegt nicht vor, und doch lassen sich bestimmte Bewegungen nicht mehr meistern. Diese Schäden sind allerdings wirklich selten.
Aufgezeichnet von Nicole Simon
Gedächtnis
Gedächtnis/-/memory
Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Hippocampus
Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio
Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-CA4.
Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.
Gedächtnis
Gedächtnis/-/memory
Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.
Hemisphäre
Hemisphäre/-/hemisphere
Großhirn und Kleinhirn bestehen aus je zwei Hälften – der rechten und der linken Hemisphäre. Im Großhirn sind sie verbunden durch drei Bahnen (Kommissuren). Die größte Kommissur ist der Balken, das Corpus callosum.
Parietallappen
Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe
Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.
Basalganglien
Basalganglien/Nuclei basales/basal ganglia
Basalganglien sind eine Gruppe subcorticaler Kerne (unterhalb der Großhirnrinde gelegen) im Telencephalon. Zu den Basalganglien zählen der Globus pallidus und das Striatum, manche Autoren schließen weitere Strukturen mit ein, wie z. B. das Claustrum. Die Basalganglien werden primär mit der Willkürmotorik in Verbindung gebracht.
Apraxie
Apraxie/-/apraxia
Schwierigkeit, eine zielgerichtete Bewegung auszuführen, wie das Greifen eines Glases oder das Schneiden mit der Schere. Betroffen sind auch die Sprache oder die Mimik. Ursache ist nicht Muskelschwäche oder Lähmung, sondern die Schädigung eines oder mehrerer Hirnareale z.B als Folge eines Schlaganfalls.