Frage an das Gehirn
Haben Künstler ein kreativeres Gehirn?
Veröffentlicht: 01.08.2015
Picasso, James Last, Marlene Dietrich: Große Künstler ihres jeweiligen Fachs. Was befähigt sie zu kreativen Höhenflügen? Haben Sie ein kreativeres Gehirn als andere?
Die Antwort der Redaktion lautet:
Anjan Chatterjee, Chef der Neurologie am Pennsylvania Hospital in Philadelphia, USA: Diese Frage ist schwer zu beantworten. Denn wie kann man das erforschen? Man könnte junge Menschen auf ihre kreativen Fähigkeiten hin testen und sehen, wer Künstler wird. Aber sie könnten genauso gut Wissenschaftler oder Ingenieure werden – denn diese benötigen ebenso Kreativität. Nur der Ausdruck ihrer Kreativität unterscheidet sich. Es ist kaum möglich zu definieren, wie sich diese Kreativität selbst unterscheidet. Wir sind gerade dabei zu erforschen, inwiefern Menschen unabhängig von ihrem Beruf kreativ sind. Wo zeigen sich entsprechende Prozesse im Gehirn? Zuerst müssen wir die Phase klären, die wir untersuchen wollen. In der Anfangsphase eines kreativen Prozesses beginnen die Menschen nach einer Lösung für eine Aufgabe oder eine Frage zu suchen. Das ist in der Kunst übrigens gar nicht so anders als in der Wissenschaft. Denken Sie beispielsweise an Künstler wie Picasso, der den Kubismus mitbegründete. Er suchte nach einer Lösung für ein verzwicktes Problem: drei Dimensionen zweidmensional darzustellen.
Diese Anfangsphase könnte ein Vehikel sein, an dem Kreativität sichtbar wird. Es gibt erste Erkenntnisse über die Mechanismen, die dabei im Gehirn ablaufen. Menschen geben häufig an, dass sie ein niedrigeres Level an Erregung brauchen, wenn sie in einen kreativen Prozess eintauchen. Wir beobachten, dass Menschen die Lösung für ein verzwicktes Problem häufig dann finden, wenn sie beispielsweise am Einschlafen oder am Aufwachen sind, wenn das Gehirn relativ ruhig ist und sie nicht bewusst nachdenken. Dann haben sie auf einmal diesen „Aha“-Moment, den man im EEG tatsächlich beobachten kann: Es zeigt sich parallel zu diesem Moment eine spezifische Aktivität im rechten temporalen Cortex. Man darf jetzt aber nicht annehmen, dass dort die Heimat der Kreativität ist. Sie findet in vielen verschiedenen Regionen statt, die in Netzwerken verbunden sind. Nur diesen einen Moment, der als Schlüssel zur Kreativität gilt, konnten wir dort lokalisieren.
Wir unterscheiden zwei Formen von Kreativität: die Konvergente Kreativität brauchen wir, um eine Gemeinsamkeit vieler verschiedener Elemente zu finden, die Divergente Kreativität umschreibt den entgegengesetzten Prozess: Wenn man einen Gegenstand hat – beispielsweise einen Stift – und damit versucht, möglichst viele verschiedene Dinge zu tun. Während für den Aha-Moment als Bestandteil der Konvergenten Kreativität der rechte temporale Cortex wichtig zu sein scheint, haben wir beobachtet, dass eine Hemmung des linken frontalen Cortex oft die Divergente Kreativität unterstützt. Das wissen wir auch aus unserer klinischen Erfahrung: Patienten mit frontotemporaler Demenz, einer mit Alzheimer verwandten Krankheit, entdecken in einem bestimmten Stadium oft ihre kreative Ader und beginnen beispielsweise zu malen. Die Krankheit greift Teile ihres frontalen Cortex an.
Vielleicht blockiert der frontale Cortex also andere Regionen im Gehirn, die mehr künstlerische Kreativität erlauben würden. Mittels transkranieller Magnetstimulation kann man neuronale Aktivität von außen unterdrücken. Probanden, deren linker frontalen Cortex damit gehemmt wurde, malten im Versuch kreativere Bilder als ohne die Stimulation. Haben Künstler ein kreativeres Gehirn? Ich vermute eher, dass besonders kreative Menschen diesen Teil des Gehirns willentlich ausbremsen können.
Sie sehen: Allzu viel weiß man nicht über Kreativität. Diese Prozesse im Gehirn experimentell zu erforschen ist schwierig, denn dafür muss man kreative Momente künstlich herbeiführen.
aufgezeichnet von Eva Wolfangel
EEG
Elektroencephalogramm/-/electroencephalography
Bei dem Elektroencephalogramm, kurz EEG handelt es sich um eine Aufzeichnung der elektrischen Aktivität des Gehirns (Hirnströme). Die Hirnströme werden an der Kopfoberfläche oder mittels implantierter Elektroden im Gehirn selbst gemessen. Die Zeitauflösung liegt im Millisekundenbereich, die räumliche Auflösung ist hingegen sehr schlecht. Entdecker der elektrischen Hirnwellen bzw. des EEG ist der Neurologe Hans Berger (1873−1941) aus Jena.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Hemmung
Hemmung/-/inhibition
Die neuronale Inhibition, oder auch Hemmung umschreibt das Phänomen, dass ein Senderneuron einen Impuls zum Empfängerneuron sendet, der bei diesem dazu führt, dass seine Aktivität herabgesetzt wird. Der wichtigste hemmende Botenstoff ist GABA.