„Man muss sich selbst testen“
Der Zehnkämpfer Paul Meier gewann 1993 die Bronzemedaille bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft. Dann kamen Verletzungen und der Kampf um die Motivation. Ein Gespräch über Erfolge, Scheitern und die Geheimwaffe Motivationstraining.
Published: 09.08.2011
Difficulty: intermediate
Paul Meier, geboren 1971, war bis 1999 Zehnkämpfer und gewann 1993 bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart die Bronzemedaille. 2004 heiratete er die Hochspringerin Heike Henkel. Heute arbeitet er als Vertriebsdirektor bei einem US-amerikanischen Software-Hersteller. Er ist ehrenamtlicher Präsident des deutschen Zehnkampf-Teams und versucht dabei, die finanziellen und organisatorischen Grundlagen für deren sportlichen Erfolg zu legen – zum Beispiel mit Motivationstraining.
Herr Meier, 1993 hatten Sie mit der Bronzemedaille bei der Weltmeisterschaft der Leichtathletik ihren größten Triumph. Wie haben Sie sich damals gefühlt?
Ich bin bei der Weltmeisterschaft in Stuttgart „nur“ Dritter geworden, aber ich war sehr glücklich, weil ich zwei Jahre vorher nie geglaubt hätte, dass ich so gut sein könnte. Ich hatte eine Traum-Punktzahl erreicht. Natürlich ist die Bronzemedaille schön und es ist auch toll, mal auf dem Treppchen gestanden zu haben. Aber fast noch stolzer bin ich heute auf die Punktzahl, die ich da erreicht habe.
Und wenn die Punkte nur für den vierten Platz gereicht hätten?
… ja klar, darüber hätte ich mich schon geärgert. Aber heute, mit dem Abstand von fast zwanzig Jahren, wäre mir die Punktzahl immer noch genauso wichtig und der vierte Platz wäre keine Enttäuschung mehr. Zufällig ist damals ein deutscher Kollege auf dem vierten Platz gelandet: Christian Schenk, der damals zum ersten und einzigen Mal in seiner Karriere 8.500 Punkte gemacht hat. Und wenn ich heute mit Christian spreche, dann ist ihm das immer noch extrem wichtig, einmal diese Punktzahl gemacht zu haben, obwohl er damit nur Vierter geworden ist.
Wie wichtig ist eine solche Zufriedenheit mit der eigenen Leistung für die Motivation?
In dem Moment, in dem ich mich selbst wohl fühle mit meiner Leistung bei einem Wettkampf, wirkt zum Beispiel das Publikum sehr motivierend. Aber wenn ich mit mir selbst unzufrieden bin, kann das ganz schnell kippen. Zwei Jahre nach Stuttgart musste ich bei der Weltmeisterschaft verletzt aufgeben, eine meiner größten sportlichen Niederlagen. Da gab es auch ein tolles Stadion und viele Zuschauer. Aber ich habe das sehr negativ empfunden, weil ich nicht zufrieden mit mir war, ich war nicht gesund, ich war schlecht vorbereitet. Ich wünschte mir, niemand würde zuschauen.
Wie ging es dann für Sie weiter?
Ich war lange verletzt und es stellte sich die Frage, wie ich mich motiviere, gesund zu werden, um überhaupt noch mal einen Zehnkampf machen zu können. Ich stand gewissermaßen meiner eigenen Genesung im Weg. Es ging dabei aber nicht um die Motivation, noch einmal Topleistung zu bringen, sondern eher um die Grundsatzfrage, ob sich der ganze Aufwand noch lohnt und der Leistungssport überhaupt noch das Richtige für mich ist.
Nicht zuletzt mit Hilfe des Motivationstrainings habe ich für mich einen Weg aus diesem Tief gefunden. Es half mir bei der Entscheidung, den Sport mit gebremstem Eifer zu betreiben und ein Stück meiner Energie für meine berufliche Ausbildung zu nutzen. Und in dem Maße, in dem ich dort Fuß gefasst habe, kam auch die sportliche Leistung zurück, weil meine Gedanken nicht mehr nur permanent um den Sport und mein Comeback kreisten, sondern ich auch andere Perspektiven für mich gefunden hatte.
Als Präsident des deutschen Zehnkampf-Teams setzen Sie sich heute stark für regelmäßige Motivationstrainings im Leistungssport ein. Warum?
Ich halte Mentalcoaching für ein sehr sinnvolles Instrument. In meiner Karriere war das noch kein fester Bestandteil des Trainings, aber das ist heute anders, auch wenn es in den olympischen Sportarten noch nicht so weit verbreitet ist wie beim Fußball, Tennis oder Golf.Sechs bis acht unserer besten Zehnkämpfer nehmen dieses Angebot in Anspruch. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine ständige sportpsychologische Betreuung, sondern ist auf mehrere Termine im Jahr und telefonische Beratung zur Wettkampfvorbereitung beschränkt.
Wie lässt sich Motivation überhaupt trainieren?
Es geht nicht darum, jemanden zu motivieren, etwas Bestimmtes zu tun. Motivationstraining zielt eher auf die Vorbereitung auf den Wettkampf. Der Sportler soll sich zum Beispiel klar darüber werden, dass sich die Rahmenbedingungen eines Wettkampfs unerwartet verändern können. Wenn also etwas passiert, auf das der Sportler nicht vorbereitet ist, dann hilft das Motivationstraining mit einem Sportpsychologen dabei, in der Wettkampfsituation nicht in ein Loch zu fallen und den Kopf hängen oder sich ablenken zu lassen. Viel läuft dabei über Supervision.
Wie hilft das in einer Situation, in der man einen Fehler gemacht hat oder hinter seiner Leistung zurückbleibt?
Teil des Trainings ist es, sich Bewegungsabläufe und die Wettkampfsituation vorzustellen und im Kopf durchzuspielen, um sie dann im richtigen Moment abrufen zu können. Normalerweise scheint in dieser Vorstellung die Sonne, man fühlt sich fit und alles läuft wie geplant. Die Realität ist aber, dass es auch mal regnet und einem Gegenwind entgegen bläst. Das Motivationstraining gibt Hilfestellungen, mit solchen Situationen umgehen zu können, also beispielsweise: Gucke bei schlechten Bedingungen nicht nur auf deine eigene Leistung, sondern vergleiche dich mit den Wettbewerbern, die vielleicht ähnliche Probleme haben. Möglicherweise ist es nicht die enttäuschende eigene Leistung, sondern die Platzierung im Feld, die dann neu motiviert.
Müssen Sportler Motivationskünstler sein?
Ich glaube, dass Leistungssportler ohnehin schon ein paar mentale Eigenschaften mitbringen müssen. Man muss sich auf den Punkt genau auf einen Wettkampf vorbereiten können, um topfit zu sein. Man kann nicht zufällig einen guten Marathon laufen oder einen guten Zehnkampf hinlegen. Das verinnerlicht man als Sportler. Und es kommt hinzu, dass man in Etappen denkt, sich eine gute Trainingsplanung zurechtzulegen lernt und ein großes Ziel in kleinere Ziele zu untergliedern. Mit solchen Meilensteinen wird der eigene Fortschritt messbar. Es geht darum, sich immer wieder selbst zu testen – und zu motivieren.
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Was ist besser: Diese Meilensteine niedrig zu setzen, so dass man sie erreichen kann, oder hoch zu pokern, auf die Gefahr hin, dass man scheitert?
Es spielt nicht so sehr die Rolle, ob die Margen hoch oder niedrig gesetzt sind. Den eigenen Fortschritt zu sehen, ist natürlich sehr motivierend. Aber es ist auch wichtig zu sehen, einen Meilenstein mal nicht zu erreichen, um zu lernen, was man verändern muss – um sich neue Ziele setzen und sich neu motivieren zu können. Trainiere ich zu viel oder zu wenig, bin ich gesund, was fehlt im Training? Man braucht diese Messpunkte, um überhaupt erfolgreich sein zu können.
Muss man Kinder im Sport anders motivieren?
Man sollte Kindern mitgeben, dass es erst einmal wichtig ist, auf sich und die eigene Leistung zu gucken. Unsere Gesellschaft verleitet uns dazu, sich schnell mit anderen zu messen. Sei es über Aussehen, Kleidung, Noten oder sportliche Leistungen. Da gerät man schnell unter Druck. Unsere Kinder sollen erst einmal ihre eigenen Möglichkeiten ausloten, bevor sie sich mit anderen messen. Erst einmal muss man sich selbst der Maßstab sein.
zum Weiterlesen:
- Paul Meier auf Wikipedia; URL: http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Meier_(Leichtathlet) [Stand: 13.08.2012]; zur Webseite.