Die Bewegungen der Anderen
Spiegelneuronen sind eines der spannendsten Forschungsfelder in den Neurowissenschaften. Vieles spricht dafür, dass sie uns helfen, Bewegungen anderer zu deuten. Doch es gibt auch widersprüchliche Thesen.
Scientific support: Prof. Dr. Jörn Munzert
Published: 30.11.2011
Difficulty: intermediate
Manchmal passieren bedeutsame Entdeckungen ganz unerwartet. Ein Apfel fällt auf den Kopf Isaac Newtons, und plötzlich erkennt der englische Naturforscher aus dem 17. Jahrhundert die Gesetze der Gravitation. Der Mediziner Alexander Fleming vergisst 1928 vor seinem Urlaub eine Bakterienkultur, und als er zurückkommt, ist sie von einem Schimmelpilz vernichtet, aus dem er später Penicillin extrahiert. Und in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts bekommt der Forscher Leonardo Fogassi Lust auf eine Rosine – und entdeckt so mit seinen Kollegen um den Neurologen Giacomo Rizzolatti von der Universität Parma die Spiegelneuronen.
Die Forscher untersuchten damals mit Hilfe von Experimenten die Bewegungsplanung im Gehirn von Makaken. Während das Tier nach unterschiedlichen Objekten griff – etwa Nüssen, Spielzeug und Rosinen –, überprüften Rizzolatti und sein Team mit Hilfe von Elektroden die Aktivität bestimmter Neuronengruppen in dem Areal F5. In diesem Areal, das im unteren Teil des prämotorischen Cortex liegt, werden Handlungen geplant und initiiert. In einer Pause, in welcher der Affe passiv auf eine weitere Messung wartete, griff nun Leonardo Fogassi selbst nach einer Rosine. Und plötzlich war nichts mehr, wie es vorher war: Denn während das Tier die Bewegung des Forschers beobachtete, maßen die Elektroden im Areal F5 Aktivität – und zwar bei einem der Neurone, die auch feuerten, wenn der Affe selbst nach der Leckerei griff.
Spiegelneurone
Spiegelneurone/-/mirror neurons
Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die genauso feuern, wenn ihre Besitzer eine Handlung beobachten wie wenn sie diese selbst durchführen. Anfang der 1990er waren italienische Forscher auf diese besonderen Neuronen gestoßen, als sie mit Makaken experimentierten. Später wurden Spiegelneurone auch im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Hier kommen sie unter anderem im Broca-Areal vor, das für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Die Spiegelneurone könnten eine Erklärung dafür liefern, warum wir in der Lage sind, die Gefühle und Absichten anderer nachzuvollziehen. Die Diskussion darum ist noch nicht abgeschlossen.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Fehler oder Methode?
Zuerst dachten Rizzolatti und seine Kollegen an einen Fehler im Versuchsaufbau. Darum variierten sie die experimentelle Situation, schlossen etwa eine Futtererwartung aus, indem sie kein Obst, sondern andere Objekte aufgriffen. Doch das Ergebnis war das Gleiche: „Es wirkte, als würden diese Zellen den beobachteten Verhaltensakt direkt, unmittelbar widerspiegeln“, schrieben die Forscher später in der Zeitschrift „Spektrum der Wissenschaft“. „Deswegen nannten wir sie Spiegelneuronen oder Spiegelzellen.“
Im Laufe der Jahre unternahmen Rizzolatti und sein Team zahlreiche Versuche, um der Bedeutung der Spiegelneuronen auf den Grund zu kommen. So stellten sie fest, dass manche Spiegelneuronen nicht allein bei visuellen Reizen feuern. Selbst Geräusche wie das Zerreißen eines Papiers oder das Knacken von Nüssen sorgen für höhere Aktivitätsraten.
Noch stärker elektrisierten die Forscher aber die Ergebnisse einer weiteren Versuchsreihe: Sie zeigten den Makaken, wie die Hand eines Experimentators aus einer Schale mit Obst eine Frucht ergriff. Dann stellten sie einen Sichtschutz so auf, dass die Schale und damit der zweite Teil der Handlung unsichtbar blieb. Obwohl der Affe nur sehen konnte, wie die Hand dahinter verschwand, feuerten die Spiegelneuronen. Wusste er aber, dass sich hinter dem Sichtschutz keine Leckerei befand, feuerten sie weniger intensiv.
Spiegelneurone
Spiegelneurone/-/mirror neurons
Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die genauso feuern, wenn ihre Besitzer eine Handlung beobachten wie wenn sie diese selbst durchführen. Anfang der 1990er waren italienische Forscher auf diese besonderen Neuronen gestoßen, als sie mit Makaken experimentierten. Später wurden Spiegelneurone auch im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Hier kommen sie unter anderem im Broca-Areal vor, das für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Die Spiegelneurone könnten eine Erklärung dafür liefern, warum wir in der Lage sind, die Gefühle und Absichten anderer nachzuvollziehen. Die Diskussion darum ist noch nicht abgeschlossen.
Verstehen dank der Spiegelneuronen?
Die Spiegelneuronen waren also besonders dann aktiv, wenn die Hand eine Handlung ausführte, die für den Affen eine Bedeutung hatte. „Man vermutet heute, dass das, was die Neuronen eigentlich interessiert, das Ziel der Handlung ist“, erklärt Peter Thier vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung, der seit mehreren Jahren mit dem Rizzolatti-Labor zusammen arbeitet. Dadurch erst, so die Theorie, können wir eine Handlung auch verstehen: „Nach dem Konzept der Spiegelneuronen basiert Verstehen darauf, dass ich das Gesehene oder auch Gehörte nutze, um das motorische System, über das ich verfüge, zur Resonanz zu bringen,“ so Thier. Die Basis von Verständnis wäre demzufolge nicht, die Absicht anderer rational nachzuvollziehen, sondern nachzufühlen. „Das ist das Reizvolle an dieser Theorie“, sagt Thier.
Inzwischen sind die Spiegelneuronen bei Makaken nicht nur im Bereich F5, sondern auch in Teilen des Parietallappens gefunden worden. Der Parietallappen ermöglicht räumliche Wahrnehmung und räumliches Handeln, etwa, die Augen auf ein Objekt zu fokussieren. Auch bei anderen Tieren wurden die spezialisierten Neuronen entdeckt: Singvögel etwa verfügen über Spiegelneuronen im Gesang-System. Sie werden dann aktiv, wenn der Singvogel eine Melodie produziert, aber eben auch dann, wenn er ein ähnliches Lied von einem Artgenossen hört.
Spiegelneurone
Spiegelneurone/-/mirror neurons
Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die genauso feuern, wenn ihre Besitzer eine Handlung beobachten wie wenn sie diese selbst durchführen. Anfang der 1990er waren italienische Forscher auf diese besonderen Neuronen gestoßen, als sie mit Makaken experimentierten. Später wurden Spiegelneurone auch im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Hier kommen sie unter anderem im Broca-Areal vor, das für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Die Spiegelneurone könnten eine Erklärung dafür liefern, warum wir in der Lage sind, die Gefühle und Absichten anderer nachzuvollziehen. Die Diskussion darum ist noch nicht abgeschlossen.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Parietallappen
Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe
Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.
Parietallappen
Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe
Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
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Auch Menschen haben Spiegelneuronen
Doch wie sieht es beim Menschen aus? Haben auch wir Spiegelneuronen? „Dafür gibt es überzeugende Argumente“, sagt Peter Thier – auch wenn die Beweislage hierfür noch unvollständig ist. Denn anders als beim Makaken kann man beim Menschen meist nicht invasiv nach Neuronenaktivitäten fahnden. Die meisten Studien zu Spiegelneuronen greifen darum auf Kernspin– oder EEG-Bilder zurück. Deren Ergebnisse aber sind ungenau und lassen keine eindeutigen Schlüsse zu.
In einigen wenigen Fällen jedoch konnten Ärzte dennoch einen Blick in das menschliche Gehirn werfen: Während Operationen bei Epilepsie-Patienten. Um sehr schwere Krankheitsverläufe zu lindern, versuchen Ärzte manchmal, bestimmte Hirnareale mit Hilfe von Elektroden „umzuprogrammieren“, oder abgegrenzte Areale, von denen die Anfälle ausgehen, zu zerstören. Damit sie feststellen können, wo genau sie dabei ansetzen müssen, leiten die Ärzte mitunter die Aktivität bestimmter Neuronengruppen ab – und konnten hierbei nachweisen, dass die Patienten, die sie untersuchten, Spiegelneuronen besitzen.
Spiegelneurone
Spiegelneurone/-/mirror neurons
Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die genauso feuern, wenn ihre Besitzer eine Handlung beobachten wie wenn sie diese selbst durchführen. Anfang der 1990er waren italienische Forscher auf diese besonderen Neuronen gestoßen, als sie mit Makaken experimentierten. Später wurden Spiegelneurone auch im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Hier kommen sie unter anderem im Broca-Areal vor, das für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Die Spiegelneurone könnten eine Erklärung dafür liefern, warum wir in der Lage sind, die Gefühle und Absichten anderer nachzuvollziehen. Die Diskussion darum ist noch nicht abgeschlossen.
Rätselraten über den Sinn der Spiegelzellen
Auch wir Menschen verfügen also über diese ungewöhnlichen Nervenzellen. Doch was ist ihre genaue Aufgabe? Sind die Spiegelneurone möglicherweise die Grundlage unserer Fähigkeit zu Empathie, wie manche Sachbücher postulieren? Peter Thier sieht solche Verallgemeinerungen kritisch: „Es ist ein weiter Weg von Spiegelneuronen beim Affen zu dem, was da an Neurophilosophie in manchen Sachbüchern produziert wird“, sagt er. „Die Spiegelneuronen sind ein stimulierendes Konzept, aber man muss auch die Unklarheiten thematisieren.“
Und davon gibt es noch einige. Denn auch wenn die Versuche mit Makaken zeigen, dass bestimmte Neurone feuern, während die Affen andere bei einer Handlung beobachten, bedeutet das nicht automatisch, dass beide Aktivitäten in Zusammenhang stehen. „Bislang konnte niemand experimentell nachweisen, dass die Tiere, die untersucht wurden, tatsächlich die gesehenen Aktionen bewerteten oder verstanden haben“, gibt Thier zu bedenken.
Noch vorsichtiger ist der Forscher bei einer weiteren oft genannten These: Dass die Aktivität von Spiegelneuronen uns hilft, durch Imitation von anderen zu lernen. „Das Problem ist: Makaken imitieren praktisch nicht“, sagt Thier. „Auch die meisten anderen Tierarten lernen nicht durch Imitation.“ Menschen, Schimpansen, aber auch Singvögel, die ihre Lieder von älteren Artgenossen abkupfern, bildeten hier die berühmte Ausnahme von der Regel.
Noch gibt es nur Theorien, wie diese Widersprüche zusammen passen. So könnte es sein, dass unser Gehirn heute das Spiegelneuronensystem zur Imitation nutzt, es aber früher eine andere Funktion hatte. Eine andere These besagt, dass unsere Fähigkeit zur Sprache auf den Spiegelneuronen aufbauen könnte – die Hirnareale, die für Sprache zuständig sind wie etwa das Broca-Areal, liegen nämlich genau in dem Bereich, der bei Makaken dem Areal F5 entspricht. „Beide Thesen sind aber bislang bloße Spekulation“, sagt Thier. „Tatsache ist, dass wir noch immer nicht genau wissen, wozu die Spiegelneuronen eigentlich da sind.“
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Spiegelneurone
Spiegelneurone/-/mirror neurons
Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die genauso feuern, wenn ihre Besitzer eine Handlung beobachten wie wenn sie diese selbst durchführen. Anfang der 1990er waren italienische Forscher auf diese besonderen Neuronen gestoßen, als sie mit Makaken experimentierten. Später wurden Spiegelneurone auch im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Hier kommen sie unter anderem im Broca-Areal vor, das für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Die Spiegelneurone könnten eine Erklärung dafür liefern, warum wir in der Lage sind, die Gefühle und Absichten anderer nachzuvollziehen. Die Diskussion darum ist noch nicht abgeschlossen.
Spiegelneurone
Spiegelneurone/-/mirror neurons
Nervenzellen im Gehirn von Primaten, die genauso feuern, wenn ihre Besitzer eine Handlung beobachten wie wenn sie diese selbst durchführen. Anfang der 1990er waren italienische Forscher auf diese besonderen Neuronen gestoßen, als sie mit Makaken experimentierten. Später wurden Spiegelneurone auch im menschlichen Gehirn nachgewiesen. Hier kommen sie unter anderem im Broca-Areal vor, das für die Sprachverarbeitung verantwortlich ist. Die Spiegelneurone könnten eine Erklärung dafür liefern, warum wir in der Lage sind, die Gefühle und Absichten anderer nachzuvollziehen. Die Diskussion darum ist noch nicht abgeschlossen.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.