Das rätselhafte Bewusstsein
Wie hängt das Bewusstsein mit dem Gehirn zusammen? Und wie kann Bewusstsein überhaupt in einer physikalischen Welt existieren? Seit Jahrhunderten versucht die Philosophie diese Rätsel zu knacken.
Scientific support: Prof. Dr. Tobias Schlicht
Published: 28.08.2013
Difficulty: intermediate
- Seit Jahrhunderten versucht die Philosophie zu beantworten, wie das Bewusstsein in die physikalische Welt hineinpasst und wie Körper und Geist miteinander zusammenhängen.
- Die Philosophie bietet grundsätzlich zwei unterschiedliche Lösungsansätze für das Körper-Geist-Problem an: Dem Dualismus zufolge sind materielle und geistige Dinge zwei vollkommen unterschiedliche Phänomene. Der Monismus hingegen geht davon aus, dass es nur physische Dinge und Prozesse gibt.
- Der interaktionistische Dualismus behauptet, dass Körper und Geist wechselseitig aufeinander einwirken.
- Der Epiphänomenalismus glaubt, dass das kausale Wirken nur in eine Richtung verläuft. Aktivitäten im Gehirn verursachen mentale Prozesse. Umgekehrt kann aber das Bewusstsein körperliche Prozesse nicht beeinflussen.
- Der Eliminative Materialismus geht einen radikalen Schritt weiter und leugnet, dass es so etwas wie Bewusstsein überhaupt gibt.
- Die Identitätstheorie betrachtet Bewusstsein und physische Aktivitäten im Gehirn als identisch. Bewusstsein wäre damit letztlich nichts anderes als Hirnprozesse.
- Gegner dieser Anschauung verweisen darauf, dass es sich in einer bestimmten Weise anfühlt, beispielsweise Schmerzen zu haben. Hirnprozesse könnten dies nicht erklären.
Der australische Philosoph David Chalmers kritisiert sowohl die Identitätstheorie als auch den Funktionalismus. Alle Versuche, Bewusstsein auf physische Grundlagen zurückzuführen, seien gescheitert. Für ihn besteht die Konsequenz in der Rückkehr zum Dualismus. Allerdings vertritt er keinen Dualismus von Substanzen, wie ihn Descartes proklamierte, sondern einen Dualismus von Eigenschaften, physischen und phänomenalen.
Nach Chalmers wäre es sogar denkbar, dass Bewusstsein – im eingeengten Sinne von Qualia – ein fundamentaler Baustein einer physisch verstandenen Welt sein könne. Wenn Bewusstsein eine nicht weiter reduzierbare Größe wäre, ähnlich wie Masse oder Energie, dann stecke vielleicht in jedem Lebewesen oder sogar in jedem unbelebten Gegenstand mehr oder weniger Bewusstsein, abhängig von der Komplexität des betreffenden Wesens oder Dings. Es wäre dann „irgendwie“, ein Grashalm zu sein. Aber ein solcher Panpsychismus, dem zufolge alles mit Bewusstsein beseelt ist, ist für viele Philosophen schwer zu akzeptieren.
Manche Materialisten betrachten Bewusstsein und andere geistige Phänomene als reine Funktionen, die auf unterschiedliche Weise realisiert werden können. Sobald man die Funktion des Herzens ermittelt hatte, konnte man auch künstliche Herzen entwickeln. Ähnlich könnte man, wenn Bewusstsein kein biologisches Phänomen wäre, prinzipiell auch künstliches Bewusstsein schaffen, so der Gedankengang, indem man zum Beispiel einen Computer auf die richtige Weise programmiert. Ein solcher Funktionalismus stellt eine flexible Alternative zum biologistischen Ansatz dar. Allerdings ist man weit davon entfernt, die Funktion des Bewusstseins zu kennen, so dass man auf dieser Basis ein Computerprogramm schreiben könnte, das dann in einem künstlichen Wesen eine subjektive Perspektive hervorrufen würde.
Der Philosoph David Chalmers (siehe auch Kasten „Alles ist beseelt“) unterscheidet zwei Arten von Problemen des Bewussteins: Das „schwierige“ Problem bestehe darin, zu erklären, wie subjektive Erlebnisse wie etwa ein unmittelbar erlebter stechender Schmerz in die physikalische Welt kommen. Zwar wisse man relativ viel darüber, wie Schmerzen im Gehirn verarbeitet werden. Doch selbst wenn man alle relevanten physiologischen Mechanismen kennen sollte, könnte man die subjektive Erlebnisqualität nicht erklären. Beim „einfachen“ Problem hingegen – mentalen Phänomenen ohne subjektiven Erlebnisgehalt wie etwa Lernen – reiche zur Erklärung aus, den dahinter liegenden Mechanismus zu verstehen, weil es nur darum gehe, dass eine bestimmte Funktion ausgeführt werde.
Die Frage, wie Bewusstsein und Materielles miteinander interagieren, wirft große Probleme auf. Die Lösung des so genannten psychophysischen Parallelismus ist eigenwillig: Er leugnet einfach, dass Gehirn und Bewusstsein miteinander wechselwirken. Stattdessen würden sie einfach genau parallel nebeneinander herlaufen. So gehe beispielsweise mit jedem Willensakt eine bestimmte Aktivität im Gehirn einher. Der Philosoph und Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) veranschaulicht das Verhältnis von Körper und Geist mit zwei synchron laufenden Uhren. Gott selbst habe die beiden aufeinander abgestimmt. Eine aus heutiger Sicht wenig zufrieden stellende Antwort.
Es ist ein etwas ungewöhnlicher Ort für einen Rundgang: ein vergrößertes Gehirn, das man begehen kann wie eine Fabrik. Interessierte Besucher besichtigen das Oberstübchen eines Menschen unter der Führung eines kompetenten Hirnforschers. Er erklärt ihnen anschaulich am lebensnahen Objekt, wie Nervenzellen aufgebaut sind und welche Botenstoffe es gibt. Doch bei aller Erklärung lässt die Besucher ein Aspekt unbefriedigt, wie der Schweizer Philosoph Peter Bieri im Rahmen seines Gedankenexperiments bemerkt: „Nichts an dem, was uns gezeigt worden ist, scheint es notwendig zu machen, dass da einer etwas erlebt: nicht die Art des Materials, nicht der Aufbau der Fabrik, nicht die chemischen Reaktionen, nicht die elektrischen Muster.“
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Bewusstsein in einer physikalischen Welt
Ein Rätsel ist das Bewusstsein besonders vor dem Hintergrund eines naturwissenschaftlichen Weltbildes. Denn es bleibt unklar, wie in ein physikalisch beschreibbares Universum etwas so Subjektives wie Bewusstsein hineinkommen kann. Berge von Material aus den Neurowissenschaften legen zwar nahe, dass neuronale und geistige Prozesse in einem engen Zusammenhang stehen. Aber es ist schwer vorstellbar, wie aus der grauen Masse das hochkomplexe Erleben und eine subjektive Innenperspektive zustande kommen sollen.
Schon seit der Antike beschäftigt sich die Philosophie mit der Frage, wie Körper und Geist miteinander zusammenhängen. Im 17. Jahrhundert hat der französische Philosoph René Descartes (1596−1650) das so genannte Leib-Seele-Problem aufgeworfen. Grob gesagt, bietet die Philosophie zwei grundsätzlich verschiedene Lösungsansätze an: Der Dualismus versucht nachzuweisen, dass materielle und geistige Dinge zwei unterschiedliche Phänomene sind. Für den Monismus hingegen gibt es letztlich nur die Welt des Materiellen. Er betrachtet das Mentale häufig als Illusion oder als etwas, das letztlich physisch ist.
Descartes selbst ging von zwei wesensmäßig vollkommen verschiedenen Substanzen aus. Auf der einen Seite gibt es die körperlich ausgedehnten Dinge, die res extensa. Auf der anderen Seite einen immateriellen Bereich, die res cogitans, die sich durch das Denken auszeichnet. Trotz der wesensmäßigen Verschiedenheit nimmt Descartes an, dass die beiden Substanzen interagieren. Mentale Phänomene wie etwa Willensakte können Aktivitäten im Gehirn beeinflussen. Umgekehrt wirkt sich Physisches, etwa Reizungen der Sinnesorgane, auf das Bewusstsein aus. Der so genannte interaktionistische Dualismus hat den Vorzug, dass er unserer Intuition entspricht: Zwar ist für uns das bewusste Erleben etwas gänzlich anderes als die unbeseelte Materie. Dennoch glauben wir beispielsweise, dass Schmerzempfindungen unser körperliches Verhalten beeinflussen, etwa uns aufschreien lassen.
Doch genau dieses Einwirken „von außen“, des immateriellen Geistes auf die materielle Welt, bringt die interaktionistischen Dualisten in die Bredouille. Denn es würde die Gesamtenergie der in sich geschlossenen physischen Welt verändern. Das ist aber nach dem physikalischen Energieerhaltungssatz nicht möglich.
Bewusstsein als wirkungsloses Begleitphänomen?
Um dem Dilemma zu entkommen, behaupten einige Philosophen, kausales Wirken verlaufe nur in eine Richtung. Dem so genannten Epiphänomenalismus zufolge ist Bewusstsein lediglich eine Begleiterscheinung, ein Epiphänomen von Hirnprozessen. So wären etwa Schmerzen, die wir empfinden, zwar von Schmerzzentren im Gehirn verursacht. Unser vor Leiden verzerrtes Gesicht wäre aber nicht von den empfundenen Schmerzen hervorgerufen, sondern wiederum von körperlichen Prozessen.
Der englische Zoologe Thomas H. Huxley (1825−1895) hat in einem berühmten Vergleich das Bewusstsein mit der Pfeife einer Lokomotive verglichen. Die Dampfmaschine bringe zwar den Pfeifton hervor. Dieser wirke aber seinerseits nicht auf die Maschine zurück. Rückenwind scheint diese Position von der modernen Hirnforschung zu erhalten. So kam etwa der amerikanische Neurophysiologe Benjamin Libet (1916−2007) in Experimenten zu einem auch ihn überraschenden Ergebnis: Ein Bereitschaftspotenzial, das im Gehirn im Vorfeld von willkürlichen Bewegungen auftritt, ließ sich sogar einige hundert Millisekunden vor der bewusst erlebten Absicht von Probanden messen, eine Hand zu bewegen. Der Willensakt scheint demnach abhängig zu sein von neuronaler Aktivität und selbst kausal ohne jeden Belang. Doch nicht nur diese Ergebnisse sind umstritten (Frei oder nicht frei?), sondern auch der Epiphänomenalismus selbst.
Wenn er nämlich recht hätte, würde alles auch ohne Bewusstsein geschehen – intuitiv ziemlich unplausibel. Außerdem: Welchen Evolutionsvorteil sollte Bewusstsein gebracht haben, wenn es als wirkungsloses Begleitphänomen die Chance auf Überleben überhaupt nicht gesteigert hat?
Bewusstsein gleich ganz eliminiert
Noch einen radikalen Schritt weiter geht der Eliminative Materialismus. Er spricht dem Bewusstsein nicht nur jegliche kausale Kraft ab. Er eliminiert den Bereich des Mentalen gleich ganz. Als monistischer Ansatz glaubt er nur an die Existenz von physischen Dingen und Prozessen. Für den kanadischen Philosophen Paul Churchland von der University of San Diego sind Bewusstseinszustände letztlich nichts als Artefakte einer vorwissenschaftlichen Theorie, die uns in die Irre führt.Um das Verhalten anderer Menschen erklären und vorhersagen zu können, hätten wir irgendwann im Laufe der Evolution begonnen, eine Alltagspsychologie zu entwickeln: Wir hätten angefangen, unseren Mitmenschen Bewusstseinszustände wie Gefühle, Wünsche, Überzeugungen und Absichten zuzuschreiben. Dass wir den Eindruck haben, diese mentalen Zustände bei uns selbst direkt zu erleben, liege nur daran, dass wir uns vollständig an diese Alltagspsychologie gewöhnt hätten und uns auch unser eigenes Verhalten damit erklären. Paul Churchland geht gar so weit zu behaupten, dass wir eines Tages ganz auf das mentale Vokabular verzichten werden! Dann nämlich, wenn uns neurowissenschaftliche Theorien das Verhalten anderer Menschen genauer erklären als die Alltagspsychologie.
Ein Problem dieser philosophischen Theorie ist nicht nur, dass sie extrem unseren Intuitionen widerspricht. Untersuchungen an Patienten mit chirurgisch durchtrenntem Hirnbalken legen zudem nahe, dass beispielsweise Gefühle auch unabhängig von Sprache und damit auch vor jeder Theorie identifiziert werden können. Unser bewusstes Erleben wäre demnach nicht notwendig von einer Alltagspsychologie geprägt und verhext.
Recommended articles
Bewusstsein identisch mit Hirnprozessen?
Etwas weniger radikal ist die Identitätstheorie. Ihr zufolge existiert Mentales wie Gefühle und Empfindungen durchaus. Es sei aber identisch mit physischen Ereignissen im Gehirn, auch wenn es sich uns auf zwei verschiedene Weisen darbiete, als subjektives Erleben und als objektiv messbarer Gehirnvorgang. Doch auch dieser Erklärungsversuch hat einen Haken, einen besonders großen sogar. Bewusstes Erleben und neuronale Aktivitäten scheinen vollkommen unterschiedliche Eigenschaften aufzuweisen. Unser Bewusstsein erleben wir beispielsweise als einheitlich. Demgegenüber steht aber eine kaum überschaubare Zahl von parallel und über das Gehirn verteilt ablaufenden neuronalen Prozessen. Umgekehrt ist Bewusstsein qualitativ gesehen ungeheuer vielfältig und facettenreich. Man denke nur an die unendliche Vielfalt von Geruchserlebnissen und Berührungsempfindungen. Wie reichlich eintönig wirkt dagegen doch das qualitativ monotone Muster neuronaler Aktivität.
Was unterscheidet die zahlreichen unbewusst bleibenden Gehirnvorgänge von denjenigen, die wir zudem bewusst erleben? Bisher konnte kein Erklärungsversuch verständlich machen, warum eine bestimmte neuronale Aktivität im Gehirn auf eine bestimmte subjektive Weise erlebt werden sollte.
Wie es ist, eine Fledermaus zu sein
Für nicht wenige Philosophen tut sich an dieser Stelle daher ein tiefer Graben auf – zwischen unserer Innenperspektive und der Außenperspektive des empirischen Wissenschaftlers. Besonders ein Aspekt des Bewusstseins bereitet hartgesottenen Materialisten Kopfschmerzen: die so genannten Qualia. Es fühlt sich in einer bestimmten Weise an, eine Tomate zu schmecken oder einen Schmerz zu spüren. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel von der New York University hat in einem berühmten Aufsatz den Gegensatz zwischen unserem objektiven und subjektiven Wissen beschrieben. Selbst wenn wir alles über die Physiologie einer Fledermaus wüssten, so Nagels Beispiel, wüssten wir nicht, „wie es ist, eine Fledermaus zu sein“. Der amerikanische Philosoph Joseph Levine von der University of Massachusetts in Amherst spricht hier von einer Erklärungslücke, die sich prinzipiell nicht überbrücken lasse. Keine der im Gehirn parallel ablaufenden Aktivitäten könne letztlich verständlich machen, warum dadurch etwas von einem Subjekt erlebt werde. Bei dem Versuch, Bewusstsein und Physisches gleichzusetzen, bleibe daher eine Erklärungslücke bestehen.
Trotz vieler interessanter Lösungsansätze ist es also den Philosophen bisher nicht gelungen, das Rätsel des Bewusstseins zu knacken. Ob es den Neurowissenschaftlern besser ergehen wird? Man darf gespannt sein.
zum Weiterlesen:
- Pauen, Michael: Grundprobleme der Philosophie des Geistes. Eine Einführung. Frankfurt 2001.