Alzheimer von innen

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Alzheimer von innen

Die Alzheimer-​Krankheit ist immer noch mit einem Stigma behaftet. Vielleicht deshalb äußern sich Patienten nur äußerst selten in den Medien. Ein Besuch bei einer Betroffenen.

Scientific support: Prof. Dr. Anja Schneider

Published: 20.09.2013

Difficulty: intermediate

Das Wichtigste in Kürze
  • Im Frühstadium der Alzheimer-Erkrankung spüren die Betroffenen meist selbst, dass ihre Leistungen nachlassen.
  • Auch für manchen Arzt ist es anfangs schwierig, die Symptome zu erkennen – zum einen, weil die Patienten sie kompensieren können, zum anderen, weil Verwechslungsgefahr mit einer leichten kognitiven Störung oder einer Depression besteht.
  • Die ärztliche Diagnose schafft Klarheit. Patienten kennen nun die Gründe ihrer Vergesslichkeit, die Vorwürfe aus dem Umfeld lassen meist nach.
  • Die Patienten müssen lernen, Hilfe zu akzeptieren. Für die Angehörigen wächst die Belastung
  • Häufig ziehen sich Freunde und Bekannte nach dem Bekanntwerden einer Alzheimer-Diagnose zurück. Dies verschärft das Leiden der Patienten und ihrer Angehörigen.
  • Wie behindernd die Stigmatisierung der Alterskrankheit Alzheimer ist, wird in der Gesellschaft erst allmählich bewusst.
Innensichten

Der amerikanische Psychologe Richard Taylor schreibt in seinem Buch „Alzheimer und Ich“ über sein Leben mit der Erkrankung. Bemerkenswert ist dieses Buch gleich in mehrfacher Hinsicht. Nur wenige von der Alzheimer-Krankheit Betroffene äußern sich in der Öffentlichkeit, zu groß ist immer noch das Stigma der Erkrankung: man hält Betroffene leicht für komplett unzurechnungsfähig. Und erst recht verfasst keiner ein ganzes Buch, in dem er trotz Gedächtnisproblemen und Wortfindungsstörungen eloquent, humorvoll und sehr reflektiert seine Situation beschreibt. Unter anderem gibt Richard Taylor sehr offene Einblicke in die Ängste, die einen Alzheimer-Patienten umtreiben können. Er schildert seine existenzielle Angst vor dem Ende, die ihm langsam in Herz und Hirn krieche. „Nicht vor dem Tod meiner Person, vielmehr vor dem Ende des Wesens, das ich kenne und andere gekannt haben.“ Und er spricht auch von den Demütigungen, sich von anderen Menschen helfen zu lassen, und der Angst, Fehler zu machen. Daneben erfährt man aber auch, wie er mit seinem Denken und Schreiben versucht, der Krankheit Herr zu werden.

Morbus Alzheimer

Morbus Alzheimer, Alzheimer-Krankheit/Morbus Alzheimer/Alzheimer's desease

Bislang unheilbare Form der Demenz, erstmals beschrieben von dem deutschen Psychiater Alois Alzheimer 1906. Zu den Symptomen gehören anfangs eine milde Vergesslichkeit und Orientierungsstörungen. Später kommt es zum Beispiel zu Sprachveränderungen und Gedächtnisverlust. Die Ursache ist noch unklar, es kommt jedoch zu pathologischen Eiweißablagerungen sowohl zwischen als auch in den Zellen. Betroffen sind corticale Areale.

Stigma

Stigma/-/stigma

Der Begriff bezeichnet eine Eigenschaft, die von der Gesellschaft oder von einer Gruppe als negativ bewertet wird und die zur Diskreditierung von Personen führt, welche diese Eigenschaft aufweisen. Stigmata können sich beispielsweise auf Mitglieder bestimmter Ethnien oder soziale Randgruppen beziehen. Auch die Diagnose einer psychischen Störung oder einer Krankheit wie AIDS kann abhängig vom sozialem Umfeld mit einer Stigmatisisierung einhergehen.

Ein unsaniertes Haus im Berliner Prenzlauer Berg. Es geht einige Stockwerke nach oben. „Kommen Sie herein.“ Rainer Fritsch öffnet die Tür zu einer gemütlich eingerichteten Altbauwohnung. Seine Frau steht zurückhaltend und etwas unsicher in der Küche. Eine Stunde haben wir Zeit für das Gespräch. Dann muss Birgit Fritsch los, zu einem Gruppentreffen.

Den Weg dorthin meistert sie selbstständig, inklusive Straßenbahn. Beileibe keine Selbstverständlichkeit. Denn die 63-​Jährige leidet an der Alzheimer-​Krankheit. Betroffenen bereitet die Orientierung im Allgemeinen mit die größten Probleme. Doch bei Frau Fritsch klappt es mit der Orientierung noch ziemlich gut. „Ich weiß immer noch, wo ich hingehen muss“, sagt sie in sympathischem Berliner Dialekt. Schränkt aber gleich ein: „Na, ganz alleine, wo ich noch gar nicht war, gehe ich nicht hin.“

Bei ihrem Gruppentreffen handelt es sich um den Psychosozialen Treffpunkt. Er wird von der gemeinnützigen Alzheimer-​Gesellschaft Berlin organisiert, die von pflegenden Angehörigen Demenzkranker und von Fachleuten gemeinsam gegründet wurde. Betroffene mit Gedächtnisstörungen kommen hier zusammen und unternehmen gemeinsam etwas. Mal geht es ins Kino, zum Kaffeetrinken oder wie heute ins Museum. Eine geschulte Fachkraft begleitet die Gruppe.

Ringen mit den richtigen Worten

Im persönlichen Gespräch merkt man, wie Birgit Fritsch mit ihrem Gedächtnis kämpft. Damit ringt, die richtigen Worte zu finden. Ihr Mann übernimmt häufig für sie, wenn sie sich nicht mehr erinnern oder ausdrücken kann. Über die Frage beispielsweise, in welchem Beruf sie früher gearbeitet hat, muss sie lange nachdenken. Immer wieder blickt sie Hilfe suchend zu ihrem Ehemann, fordert ihn auf, für sie zu antworten. „Sag doch mal, was du gelernt hast“, versucht Herr Fritsch ihr auf die Sprünge zu helfen. „Na, was war das denn wieder?“, fragt sie schulterzuckend. Nicht zum letzten Mal an diesem Tag rutscht sie nervös vor und zurück.

Man kann bei dieser Frage auch leicht durcheinanderkommen. Frau Fritsch hat ein bewegtes Berufsleben hinter sich, arbeitete unter anderem als Drogistin und in der Lohnbuchhaltung. In einem ihrer letzten Berufe war sie in einem Spielzeugladen tätig. „Es war damals noch nicht so offensichtlich, aber aus heutiger Sicht fing es zu dieser Zeit schon mit der Krankheit an“, erinnert sich Rainer Fritsch. „Die Chefin hat meiner Frau immer schreckliche Vorwürfe gemacht, wenn sie etwas vergessen hatte.“ Schon zuvor hatte er im Alltag bemerkt, dass sie die Kaffeemaschine nicht mehr bedienen konnte. „Ich wusste einfach nicht mehr, wie es ging“, bestätigt seine bessere Hälfte. Ihre letzte Arbeit, einen Bürohilfsjob auf 400-​Euro-​Basis, musste sie letztlich aufgeben, da sie den Anforderungen immer weniger gewachsen war.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Die geistigen Fähigkeiten lassen nach

„Im frühen Stadium spüren die Betroffenen selbst, dass ihre geistigen Fähigkeiten nachlassen“, sagt die Psychologin Christa Matter, Geschäftsführerin der Alzheimer-​Gesellschaft Berlin e.V. „Es fällt ihnen zunehmend schwerer, vor allem neue Informationen zu speichern und abzurufen. Das Langzeitgedächtnis hingegen, die früheren Erinnerungen, sind zunächst gar nicht betroffen.“

Die Umwelt bemerkt häufig gar nichts von den Veränderungen. „Die Betroffenen haben noch viel Wissen zur Verfügung und sind in der Lage, so manche mentalen Defizite zu kompensieren. Sie können ihre Angelegenheiten noch weitgehend selbständig regeln und alleine leben.“ Allerdings kann sich der Verlust mentaler Fähigkeiten auf das Selbstbild der Betroffenen auswirken, kann zu Verunsicherung und auch zu depressiven Reaktionen führen.

Langzeitgedächtnis

Langzeitgedächtnis/-/long-term memory

Ein relativ stabiles Gedächtnis über Ereignisse, die in der etwas entfernteren Vergangenheit passiert sind. Im Langzeitgedächtnis werden Inhalte zeitlich nahezu unbegrenzt gespeichert. Unterschiedliche Gedächtnisinhalte liegen in unterschiedlichen Gehirn-​Arealen. Die zelluläre Grundlage für diese Lernprozesse beruht auf einer verbesserten Kommunikation zwischen zwei Zellen und wird Langzeitpotentierung genannt.

Lange Odyssee bis zur Diagnose

Für das Ehepaar Fritsch war die Zeit vor der Diagnose eine Phase großer Verunsicherung und Ungewissheit. Weil er nicht um die Krankheit wusste, machte Rainer Fritsch seiner Frau ab und an Vorwürfe, warum sie dieses oder jenes nun wieder vergessen habe. „Ich hab‚ dann manchmal angefangen zu weinen“, erinnert sich Birgit Fritsch.

Der Weg bis zur Diagnose war eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Lange hätten die Mediziner den Verdacht Alzheimer vom Tisch gewischt und auf Depression getippt, da diese psychische Krankheit ebenfalls zu Gedächtnisstörungen führen kann. „Man hat ihr im Gespräch lange nichts angemerkt“, sucht Rainer Fritsch nach einer Erklärung. Erst mehrwöchige Beobachtungen und Untersuchungen in einer Tagesklinik führten Mitte 2010 zur Diagnose. „Da ging die Heulerei erst einmal richtig los“, sagt Birgit Fritsch. Doch irgendwann habe sie begonnen, die Diagnose zu akzeptieren. „Ich sagte mir dann, ich bin bestimmt nicht die Einzige. Und es ist nun mal so, wie es ist. Ich kann‚s ja nicht ändern.“

Für Familie Fritsch ist es heute in mancherlei Hinsicht einfacher. Sie wissen nun um die Erkrankung und haben sich gemeinsam mit ihrem Sohn auf sie eingestellt. Herr Fritsch entlastet seine Frau, wo er nur kann, vor allem im Haushalt. Gleichzeitig aber ist die Krankheit seit den ersten Anzeichen schlimmer geworden. Einkaufen gehen kann Birgit Fritsch nicht mehr. Auch im Haushalt tut sie sich schwer. Beim Kochen beispielsweise. „Kochen klappt nicht so gut. Da müssen wir heute oft zusammenarbeiten.

Depression

Depression/-/depression

Phasenhaft auftretende psychische Erkrankung, deren Hauptsymptome die traurige Verstimmung sowie der Verlust von Freude, Antrieb und Interesse sind.

Zunehmende Gedächtnis– und Orientierungsprobleme

In der Anfangszeit hat sie noch auf den einen oder anderen Trick zurückgegriffen. „Früher hab ich mir auf Merkzetteln etwas aufgeschrieben.“ Beispielsweise, dass sie noch einkaufen gehen musste. Viele Zettel waren es anfangs. Das ließ aber irgendwann nach. „Wahrscheinlich hatte sie keine Lust mehr dazu, weil sie zunehmend nicht mehr wusste, wie die Wörter geschrieben werden“, glaubt Rainer Fritsch. Vermutlich befinde sich seine Frau bereits im mittleren Stadium der Erkrankung. (Zum Verlauf der Alzheimer-​Erkrankung: Schleichend zum Vergessen)

In diesem Stadium nehmen die Gedächtnis– und Orientierungsprobleme zu. „In der Folge können die Betroffenen in der Regel nicht mehr allein in ihrem Leben zurechtkommen“, sagt Christa Matter. „Sie brauchen Hilfe auch bei einfachen Aufgaben, etwa bei der Essenszubereitung, beim Ankleiden oder der Köperpflege.“ Sie können nun immer weniger vollständige Sätze bilden und Mitteilungen von anderen immer schwerer aufnehmen. „Auch frühe Erinnerungen stehen zunehmend nicht mehr zur Verfügung. Manche wissen nicht mehr, ob sie Kinder haben oder wann sie geheiratet haben.“

Birgit Fritsch bereitet vor allem Probleme, was relativ kurze Zeit zurückliegt. „Sie fragt mich immer: Was steht heute noch mal an? Wer kommt heute zu uns?“, erzählt Rainer Fritsch. Seine Frau fängt an zu lachen, wie überhaupt viel gelacht wird an diesem Vormittag. Aber manchmal bekommt die heitere Fassade auch Risse. Beispielsweise als Frau Fritsch auf die Frage, wie alt sie sei, vollkommen verständnislos reagiert: „Was bin ich?“ In diesem Moment schaut Herr Fritsch sehr ernst, und man glaubt zu merken, dass ihn die Gedächtnisprobleme seiner Frau noch immer schockieren können. „Überleg doch mal“, fordert er sie auf. „Was will er jetzt wissen?“, fragt Birgit Fritsch zurück. „Dein Alter“. Sie lacht. Nicht zum ersten Mal hat man das Gefühl, dass sie mit ihrer Fröhlichkeit auch einiges zu überspielen versucht. „Über 60 auf jeden Fall“, tastet sie sich langsam vor. „Leider schon 63“, meint Herr Fritsch. „Na ja, das ist auch nicht so schlimm.“

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Belastung auch für Angehörige

Während Birgit Fritsch ihre Erkrankung relativ gefasst zu nehmen scheint, merkt man vor allem ihrem Mann an, welcher Druck auf ihm lastet. Er muss den Haushalt führen, sich um seine Frau kümmern und daneben noch seinen Beruf ausüben. Manchmal tröstet ihn der Gedanke, dass er es dennoch etwas leichter hat als manch anderer Angehöriger eines Alzheimer-​Patienten. Er erzählt von einer Betroffenen, die bei einer Einladung zu einer geselligen Runde immer ganz niedergeschlagen oder sogar aggressiv wird, weil sie nicht viel von den Gesprächen mitbekommt und sich ausgeschlossen fühlt. Bei seiner Frau hingegen habe sich die Persönlichkeit nicht groß verändert. „Das merke ich auch daran, dass sie sich weiterhin gerne in Gesellschaft befindet.“

Etwas rastlos sei sie mittlerweile allerdings geworden, räume ständig in der Wohnung herum. Zeitschriften und Unterlagen liegen dann nicht mehr an ihrem Ort. „Wenn ich nicht aufpasse, sind die woanders.“ „Manche Zeitschriften will ich schließlich auch lesen“, entgegnet Birgit Fritsch schmunzelnd. Mit dem Lesen klappt es noch ganz gut. Stundenlang schmökere sie in Zeitschriften – in Frauenzeitschriften, aber auch im „Spiegel“, das sei eine richtige Leidenschaft von ihr. Während des Lesens unterstreiche sie viel, offensichtlich um sich besser konzentrieren zu können, glaubt ihr Mann. „Ein bisschen weiß ich dann auch noch nach dem Lesen eines Artikels.“ Birgit Fritsch springt auf und möchte ihre Zeitschriften zeigen, kann sie aber nicht finden.

Offener Umgang mit der Erkrankung ist selten

Alzheimer haftet immer noch ein Stigma an. Nur wenige Alzheimer-​Patienten gehen daher so offen mit ihrer Erkrankung um wie Birgit Fritsch. Sie trifft sich schon seit Jahren mit einigen Frauen zum Sport, auch noch nach der Diagnose. „Die wissen das eben“, sagt sie und meint ihre Erkrankung. „Und wenn ich manchmal nicht ganz so gut bin, na, dann ist das eben so. Dann mache ich einfach mit, was ich kann.“

Als das Interview zu Ende ist und Frau Fritsch los muss, suchen beide nach dem Portemonnaie. Ein leidiges Thema im Hause Fritsch. Gerade erst eine Woche zuvor hatte Birgit Fritsch den Geldbeutel mit ihrem Schwerbehindertenausweis verloren. Gestern haben sie einen neuen Ausweis ausstellen lassen. Auch wenn die Fritschs mit der Erkrankung bewundernswert umgehen: Leicht ist es auf keinen Fall. Es ist ein Kampf, jeden Tag.

Stigma

Stigma/-/stigma

Der Begriff bezeichnet eine Eigenschaft, die von der Gesellschaft oder von einer Gruppe als negativ bewertet wird und die zur Diskreditierung von Personen führt, welche diese Eigenschaft aufweisen. Stigmata können sich beispielsweise auf Mitglieder bestimmter Ethnien oder soziale Randgruppen beziehen. Auch die Diagnose einer psychischen Störung oder einer Krankheit wie AIDS kann abhängig vom sozialem Umfeld mit einer Stigmatisisierung einhergehen.

zum Weiterlesen:

  • Taylor, Richard: Alzheimer und Ich. Leben mit Dr. Alzheimer im Kopf, Bern, 2010.
  • Alzheimer-​Gesellschaft Berlin e.V.; URL: http://​www​.alzheimer​-berlin​.de/ [Stand: 23.09.2013]; zur Webseite.
  • Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.; URL: http://​www​.deutsche​-alzheimer​.de/ [Stand: 23.10.2013]; zur Webseite.

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