Thomas Südhof – Mit vielen kleinen Schritten zum Nobelpreis
Eine außerordentliche intellektuelle Durchschlagskraft bescheinigen ihm seine Weggenossen. So ist es Thomas Südhof gelungen, einen wesentlichen molekularen Mechanismus in den Synapsen zu entschlüsseln. Dafür bekommt er 2013 den Medizin-Nobelpreis.
Scientific support: Prof. Dr. Johann Helmut Brandstätter
Published: 03.12.2013
Difficulty: intermediate
- Thomas Südhof bekommt den Anruf vom Nobel-Komitee, als er in Spanien auf dem Weg zu einem Forscher-Meeting ist. Das Gespräch wurde aufgezeichnet.
- Kollegen sind beeindruckt von seiner intellektuellen Durchschlagskraft. Auch seine Leistungsfähigkeit ist riesig, er ist fast rund um die Uhr im Labor.
- Ende der 1980er-Jahre beginnt Thomas Südhof damit, die molekulare Maschinerie in den Synapsen zu entschlüsseln. Er bringt dabei die modernsten neurophysiologischen und molekularbiologischen Methoden zusammen.
- So findet er viele Proteine, die wesentlich dafür sind, dass Vesikel in den Synapsen Transmitter ausschütten. Dank ihm haben Forscher heute ein sehr genaues Bild davon, wie die molekulare Maschinerie in den Synapsen funktioniert.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
22. Dezember 1955: Thomas Südhof wird in Göttingen geboren
1975-1982: Medizinstudium an der RWTH Aachen, der Harvard University und der Universität Göttingen
1982: Promotion am Max-Planck-Institut für Biophysikalische Chemie in Göttingen
1983-2008: Forschung und Lehre am University of Texas Health Science Center in Dallas, daneben drei Jahre am Max-Planck-Institut für Experimentelle Medizin in Göttingen
Seit 2008: Forschung und Lehre an der Stanford University
2013: Nobelpreis für Medizin
Das Handy klingelt, als er mit dem Auto in Spanien unterwegs ist und sich ein wenig verfahren hat. „Hallo Professor Südhof?“ Thomas Südhof bejaht und ahnt noch nicht, dass dies der Anruf ist, von dem wahrscheinlich jeder Wissenschaftler schon einmal geträumt hat. „Es wurde gerade bekannt gegeben, dass Sie mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden, zusammen mit Jim Rothman und Randy Schekman.“ Das Gespräch wurde aufgezeichnet, man kann das folgende ungläubige Schweigen des Wissenschaftlers auf der Webseite des Nobelkomitees nachhören. „Ist das Ihr Ernst?“, stammelt er, und als er überzeugt ist, dass es kein Scherz ist, kommt ein lachendes „Oh mein Gott!“.
Er hält sein Auto an, und kurz darauf hat er sich etwas gesammelt. Es ist ein Moment der ehrlichen Gefühle; das ist wohl der Grund dafür, dass sein gewaltiges fachliches Selbstbewusstsein kurz durchblitzt. Er wird gefragt, wie er es findet, zusammen mit James (Jim) Rothman und Randy Schekman ausgezeichnet zu werden. „Das ist wunderbar“, antwortet er. „Wissen Sie, jeder hat seine eigene Sicht darauf, wer etwas verdient, und man neigt dazu, sich zu überschätzen.“ Die Auszeichnung für die beiden Kollegen und ihn sei aber „mehr als fair“.
Wer sich bei seinen Weggefährten umhört, der kommt schnell zu dem Ergebnis, dass Thomas Südhof allen Grund hat, dieses Selbstbewusstsein zu zeigen. Denn er muss eine imponierende Forscherpersönlichkeit sein. „Seine intellektuelle Durchschlagskraft haben allenfalls noch zwei andere Kollegen, die ich kenne“, sagt Nils Brose. Der Biochemiker ist heute Direktor des Max-Planck-Instituts für Experimentelle Medizin in Göttingen. Anfang der 1990er war er Mitarbeiter von Thomas Südhof, als der am Southwestern Medical Center der University of Texas in Dallas forschte.
„Ein außerordentliches kognitives Leistungsvermögen“
Er war schnell beeindruckt von seinem Chef: „Er hat ein außerordentliches kognitives Leistungsvermögen.“ Nils Brose legte sich damals als Postdoc sehr ins Zeug, arbeitete jeden Wochentag mehr als zwölf Stunden, war auch viel am Wochenende da. „Mehr ging nicht, sonst hätte meine Frau mich verlassen. Aber Thomas Südhof war bei weitem länger da, und er wurde dabei nicht müde, scharfsinnig zu sein.“ Menschen, die solch eine Besessenheit zeigen, sind oft schwierig im Umgang. Doch offenbar gilt das nicht für Thomas Südhof: „Er ist nie wütend, ihm gelingt es, Konflikte zu versachlichen“, sagt Nils Brose. „Das war sehr gut für mich als Mitarbeiter, ich wusste immer, woran ich bin.“
Diese Gelassenheit zeigt Thomas Südhof selbst im Moment seines größten Triumphes. Bei dem Telefonat in Spanien war er auf dem Weg zu einem kleinen Meeting von Neurowissenschaftlern. Als er dort ankommt, hat die Nachricht von seinem Nobelpreis längst die Runde gemacht, seine Kollegen empfangen ihn mit Standing Ovations. „Dann hat er seinen planmäßigen Vortrag gehalten, als sei nichts gewesen“, erinnert sich Nils Brose. „Er ist nicht so der emotionale Typ.“
Beinahe wäre er Arzt geworden
Anfang der 1980er-Jahre gab es einen Moment im Leben von Thomas Südhof, bei dem er beinahe den Weg verlassen hätte, der ihn später zum Nobelpreis führte. Er hatte bereits sein Medizinstudium samt Promotion in Deutschland hinter sich, anschließend erarbeitete er sich im Labor der späteren Nobelpreisträger Joseph Goldstein und Michael Brown erste größere Erfolge. Doch eigentlich war es bis dahin immer sein Ziel gewesen, als Arzt zu praktizieren und mit der Grundlagenforschung aufzuhören. Er wollte – wie auch seine Schwester Gudrun – in die Fußstapfen seines Vaters treten, der als Mediziner arbeitete. Doch Joseph Goldstein und Michael Brown hatten erkannt, was für ein Potenzial in Thomas Südhof steckt. So begannen sie, auf ihn einzureden. „Ihr Argument war, dass meine wissenschaftliche Arbeit insgesamt produktiver sein könnte als wenn ich viel Zeit in der Klinik verbringen würde“, erinnert sich Thomas Südhof im Blog seiner heutigen Alma Mater Stanford. Er lässt sich umstimmen und baut bald danach ein eigenes Labor auf – in Dallas.
Das Gebiet seiner Mentoren, die Erforschung des Fettstoffwechsels, verlässt er aber. „Als Medizinstudent hatte ich mit Patienten gearbeitet, die an Demenz litten oder an akuter Schizophrenie“, erinnert er sich. „Das hat bei mir einen tiefen Eindruck hinterlassen.“ Er stellt damals fest: „Wir verstehen es ziemlich gut, eine Brücke oder ein Flugzeug zu bauen. Aber keiner weiß, wie man mit einer geistigen oder neuropsychiatrischen Störung umgeht. Wir stehen erst am Anfang.“ So entschließt er sich, in die Neurophysiologie zu wechseln.
Von Joseph Goldstein und Michael Brown hatte er die zu der Zeit neuesten molekularbiologischen Techniken gelernt. Diese will er nun nutzen, um die molekulare Maschinerie in den Kontaktstellen der Nervenzellen, den Synapsen, zu verstehen. Das Grundprinzip der synaptischen Übertragung ist bereits Lehrbuchwissen: Das elektrische Signal einer Nervenzelle bewirkt, dass kleine Bläschen – so genannte Vesikel – im Zellinneren mit der Zellmembran verschmelzen. Dadurch gelangen Botenstoffe (Transmitter) in den synaptischen Spalt. Diese Stoffe lösen in der benachbarten Nervenzelle ein elektrisches Signal aus. So gelangt ein Reiz von einer Zelle zur nächsten.
Demenz
Demenz/Dementia/dementia
Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
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„Ein waghalsiger Ansatz“
Wie das aber auf molekularer Ebene funktioniert, ist zu der Zeit weitgehend unbekannt. Thomas Südhof fragt sich: Wie schafft es das elektrische Signal, dass die Vesikel mit der Membran fusionieren? „Das war Ende der Achtziger-Jahre ein waghalsiger Ansatz, den Membranfusions-Mechanismus entschlüsseln zu wollen“, sagt Nils Brose in der Rückschau. „Denn damals waren die Komponenten noch nicht bekannt.“ So musste Thomas Südhof kleinteilige Pionierarbeit leisten und versuchen, so viele Proteine wie möglich zu finden, die an diesem Prozess beteiligt sind.
„Was seine Forschung besonders machte, war – fußend auf den Erkenntnissen der Biochemie – eine tolle Kombination von Elektrophysiologie und Molekularbiologie“, sagt Felix Wieland. Er ist Biochemiker an der Universität Heidelberg und hat selbst einiges zum Vesikeltransport in Zellen erforscht. Thomas Südhof brachte alle damals hochmodernen Techniken der Biologie zusammen. Mit den rasant fortschreitenden molekularbiologischen Methoden konnte er viele Gene bestimmen, die an der Transmitter-Ausschüttung in der Synapse beteiligt sind. Mit den immer präziseren elektrophysiologischen Methoden konnte er bestimmen, welche Auswirkungen diese Gene haben.
Doch um diese beiden Werkzeuge zusammenzubringen, war eine weitere Technik notwendig. „Thomas Südhof war derjenige, der schnell erkannt hat, wie wichtig Maus-Mutanten sind“, erinnert sich Nils Brose. Erst seit Kurzem war es möglich, gezielt Gene der Maus auszuschalten. Das ermöglichte es Thomas Südhof, für jedes gefundene Gen zu prüfen, welche Rolle es in den Nervenzellen spielt. „So konnte er zeigen, wie auf molekularer Ebene die Transmitter-Ausschüttung durch Calcium reguliert wird“, sagt Felix Wieland. Calcium-Ionen spielen eine wesentliche Rolle in den Synapsen: Sie strömen, sobald ein elektrisches Signal eintrifft, in die Zelle ein. Dort lösen sie eine molekulare Kettenreaktion aus, die dazu führt, dass die Vesikel mit der Membran verschmelzen und so die Botenstoffe ausschütten. Thomas Südhof fand zahlreiche der daran beteiligten Proteine. Dadurch haben die Wissenschaftler mittlerweile eine genaue räumliche und zeitliche Vorstellung von dieser molekularen Maschinerie bekommen.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Forschung ohne Heureka-Moment
Doch Thomas Südhof ist bewusst, dass bisher nur sehr grob verstanden ist, wie die Moleküle in den Synapsen zusammenwirken. In einem Übersichtsartikel schreibt er 2013: „Erst wenn wir verstehen, wie Synapsen arbeiten, wie die Synapsen sich untereinander unterscheiden und wie sich Synapsen binnen Millisekunden und Jahren verändern, erst dann können wir auch begreifen, wie das Gehirn arbeitet, egal wie viele neuronale Verbindungen kartiert werden.“
Der bereits erwähnte Stanford-Blogger fragte Thomas Südhof, was seine Heureka-Momente waren – wann er also das Gefühl hatte, gerade einen Durchbruch geschafft zu haben. Obwohl er so wichtige Entdeckungen gemacht hat, konnte Thomas Südhof keinen solchen Moment benennen. Seiner Erfahrung nach funktioniere Forschung inzwischen Schritt für Schritt, nicht in Sprüngen, antwortete er. „Ich glaube fest daran, dass die meiste Arbeit nur graduell fortschreitet.“ Es waren sehr viele kleine Schritte, die ihm letztlich das Handy-Telefonat auf einer spanischen Straße und den damit verbundenen Nobelpreis einbrachten.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
zum Weiterlesen:
- The Nobel Assembly at Karolinska Institutet: Scientific Background: Machinery Regulating Vesicle Traffic, A Major Transport System in our Cells. 2013; URL: http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/medicine/laureates/2013/advanced-medicineprize2013.pdf [Stand: 18.11.2013]; zur Webseite
- Südhof, TC: Neurotransmitter Release: The Last Millisecond in the Life of a Synaptic Vesicle. Neuron 2013;80(3):675 – 690 (zum Abstract).
Neurotransmitter
Neurotransmitter/-/neurotransmitter
Ein Neurotransmitter ist ein chemischer Botenstoff, eine Mittlersubstanz. An den Orten der Zell-Zellkommunikation wird er vom Senderneuron ausgeschüttet und wirkt auf das Empfängerneuron erregend oder hemmend.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.