Mensch 2.0
Literatur als Inspiration: Die Science-Fiction hat die Möglichkeiten der Mensch-Maschine-Interaktion intensiv diskutiert – und vielfach vorbereitet. Einige Ideen sind inzwischen Realität, die Einlösung anderer Versprechen steht noch aus.
Published: 27.05.2014
Difficulty: intermediate
- Die Science-Fiction hat die Entwicklung der Mensch-Maschine-Interaktion intensiv vorgedacht und diskutiert
- Manche Phantasien sind inzwischen Wirklichkeit geworden, bei anderen wollen den Forschern keine rechten Fortschritte gelingen
- Der Science-Fiction ist auch eine wichtige Plattform um die gesellschaftlichen Folgen neuer Technologien zu diskutieren
Endlich hatten die Freunde seine Beziehung zu Samantha, dem klugen, nachdenklichen und romantischen Betriebssystem akzeptiert. Ganz selbstverständlich beteiligte sie sich beim Picknick an ihren Gesprächen und Neckereien. Auch ihr ging es gut. Dabei hatte Samantha lange Zeit darunter gelitten, keinen Körper zu besitzen. Nun stellte sie fest, es sei doch ganz hervorragend, nicht in einem menschlichen Körper verrotten zu müssen. „Autsch!“ kommentierte einer der Anwesenden. In der Tat, das tut weh. Samantha rührt an den wundesten Punkt des Menschen – seine Sterblichkeit.
Verheißungen der Zukunft
An die Verschmelzung mit der Maschine knüpfen sich kühne Träume von der Überwindung des ermüdenden, alternden und kränkelnden Körpers, von der grenzenlosen Freiheit virtueller Welten, höheren Stufen der Intelligenz, und immer wieder auch der Dauerbrenner: Unsterblichkeit. „Es ging um das Leben“, heißt es in Bruce Sterlings Roman Schismatrix. Und die radikalsten Bewohner seines Universums, die unbeweglich in einer Maschine lebenden Wireheads, sind – selbstverständlich – unsterblich.
Kaum ein Bereich der Wissenschaft wurde in den verschiedenen Formen der Science-Fiction so gründlich durchdacht, diskutiert und auch befördert wie die Interaktion von Mensch und Technik. Die fließenden Grenzen zwischen Mensch und Roboter. Wie Samantha in Spike Jonzes Film „Her“ (2014). Oder im Cyberpunk, einer in den 1980er Jahren entstandenen, sehr düsteren und gesellschaftskritischen Spielart der Science-Fiction, die wesentlich auf dem Spiel mit fließenden Identitäten beruht und auf unseren moralischen Intuitionen – die nicht ausreichen, um mit ihnen umzugehen.
In der Fiktion wie in der Wirklichkeit gibt es heute im Wesentlichen zwei Arten von Schnittstellen, an denen Mensch und Maschine zusammentreffen. Die eine verknüpft den Menschen mit der wirklichen Welt; die andere mit der virtuellen. Die eine macht den Körper besser; die andere macht ihn überflüssig.
Prothesen, Implantate, Body-Hacker
Unter den Schnittstellen, die unmittelbar Computer und Hirn verbinden, arbeiten Forscher vor allem an Ersatzteilen und Zusatzfunktionen für den menschlichen Körper, von der Handprothese bis zum Exoskelett. Cochlea– und Retina-Implantate, die die Seh– beziehungsweise Hörfähigkeit verbessern, gehören heute zum seriösen medizinischen Standard. Die Fantasie vor allem der so genannten Transhumanisten und Body-Hacker geht aber weit darüber hinaus. Sie wollen die Evolution selbst in die Hand nehmen, wollen den unvollkommenen Körper, den biologischen Determinismus hinter sich lassen. Sie wollen sich neue Sinne erschließen, Brücken zwischen bislang getrennten Sinnen schaffen. Sie wollen das „Fleisch“ überwinden.
In der Science-Fiction ist das bereits Realität. Wobei die Grenzen zwischen Mensch und Technik zunehmend verschwimmen. So wissen in Sterlings Schismatrix selbst die Protagonisten oft nicht mehr, was Mensch, was Ding ist. Organe werden ganz oder teilweise ersetzt, nichts passt mehr so recht zusammen, dennoch huscht ein Schimmer von Bewusstsein über das uralte, vielfach reparierte Gesicht. Cyborgs heißen diese Zwischenwesen, und den Leser gruselt es.
Der britisch-irische Komponist Neil Harbisson hingegen ist stolz darauf, der erste offiziell anerkannte Cyborg zu sein. Er trägt einen Eyeborg, ein Gerät, das dem farbenblind Geborenen ermöglicht, Farben zu hören, auch Farben, die Normalsichtigen unzugänglich sind, etwa Infrarot. Nach einigem Hin und Her wurde das Gerät amtlich als zu seinem Körper gehörend anerkannt. Er darf es nun auf seinem Passfoto tragen. Für Harbisson ist dieses „Body-Hacking“ auch Kunst: Er transformiert Sprache in Farbe, Gesehenes in Klänge. Der Künstler Wafaa Bilal ließ sich sogar zeitweise als drittes Auge eine Kamera hinten in seinen Schädel einbauen, die Bilder dessen ins Netz stellte, was er „hinter sich ließ“. Manchen seiner Freunde sei das suspekt gewesen: Sie hätten ihn nicht mehr auf Partys eingeladen, berichtete Wafaa Bilal dem Wall Street Journal.
Weniger spektakulär, aber leichter realisierbar, sind Magnete, die etwa unter die Haut in einen Finger implantiert werden. Sie lassen den Träger magnetische Felder als Vibration spüren. Der Nutzen mag bezweifelt werden, die Umsetzung ist ein wenig krude. Etwas weiter geht Grindhouse Wetware mit Circadia. Dabei handelt es sich um eine Platte im Scheckkartenformat, die Körperfunktionen überwachen, an Computer weiterleiten und durch die Haut Lichtsignale geben kann. Auch das ist noch nicht besonders nützlich. Und auch nicht schick, denn da sich kaum Ärzte finden, die solche Körperergänzungen vornehmen, sind die Transhumanisten auf Piercing-Studios angewiesen oder betätigen sich selbst mit Skalpell, Nadel und Faden. Es sei eben erst ein Anfang, betonen sie.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
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Militärische Forschung und Neurowaffen
An solchen Spielereien hat nicht jeder Interesse. Die konkretesten Vorstellungen, wie die Verknüpfung von Mensch und Maschine den Geist unermüdlich und den Körper unempfindlich machen könnte, hat vermutlich die Forschungsabteilung des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums (Defense Advanced Research Projects Agency, kurz DARPA). Ihre Vordenker haben den Menschen längst als schwächstes Element des Krieges ausgemacht und verschiedene Programme gestartet, um ihn zu verbessern: Exoskelette sollen Soldaten ermöglichen, schwerere Waffen mit mehr Munition zu tragen und sich besser vor Beschuss zu schützen. Augmented-Reality-Systeme sollen schnellere Entscheidungen ermöglichen, pharmakologische Tricks das Schlafbedürfnis vermindern. William Tyler arbeitet am Virginia Tech Carilion Research Institute im Auftrag der DARPA an einer ultraschallbasierten Computer-Hirn-Schnittstelle, über die millimetergenau auch tief im Hirn gelegene Regionen angesprochen werden können. Ein erstes Ergebnis: Regt man mithilfe solcher Ultraschallpulse die Region des Cortex an, die mit der Verarbeitung von Sinnesreizen aus der Hand zu tun hat, verbessert sich die Fähigkeit der Probanden, nah beieinander gelegene Reize zu unterscheiden. Unter den vorgesehenen Einsatzbereichen seiner Technik nennt Tyler die Behandlung von Parkinson, Epilepsie, Depression, Alzheimer und Komazuständen. Aber eben auch: militärische Anwendungen, Gedächtniskontrolle, die Überwindung des Schlafbedürfnisses.
Kritiker fürchten, dass es neben der Aufrüstung der Soldaten noch um ganz andere Dinge geht: um Neurowaffen, die unmittelbar an den Gehirnen und ihren Schaltkreisen ansetzen und pharmakologische oder psychologische Methoden der „Gehirnwäsche“ durch Methoden der Tiefen Hirnstimulation oder Optogenetik ersetzen.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
In virtuelle Welten
Die Schnittstelle in die virtuelle Welt, die den Körper auf ein Nährmedium für das Gehirn reduziert, führt in eine Welt, die Stanislav Lem „Periphere Phantomatik“ nannte, lange bevor William Gibson sie „Cyberspace“ taufte. Der Cyberspace, das war zuerst eine virtuelle Realität, in die man mit Hilfe von Datenbrillen, Datenhelmen, Datenhandschuhen und sogar ganzen Datenanzügen eintauchte. Später wurde der Begriff zum Synonym für das World Wide Web, für eine virtuelle Parallelwelt von Second Life bis World of Warcraft. Stanislav Lem unterschied in seinem Futurologischen Kongress nahezu satirisch verschiedene Stufen der Illusion: Je näher man der Realität kommt, desto trostloser wird es.
Scheinwelten, aus mehr oder weniger verbrecherischen Absichten vorgegaukelt: Das ist das zentrale Thema dieser Art von Science-Fiction, und ihre eindrücklichste Form findet sich vielleicht im Film Matrix. Neu ist die Idee nicht, es scheint sich vielmehr um eine Urangst des Menschen zu handeln: Dass der Seele nach dem Tod von einem Dämon eine falsche Wirklichkeit vorgegaukelt werden könnte, war eine große Sorge schon der scholastischen Philosophie. Von dort zu Descartes Gedankenexperiment von einem betrügerischen Gott, der nur vorgaukelt, was wir sicher zu wissen meinen, ist es nicht weit. Heute rahmen nicht Götter und Dämonen die Szene, sondern, wie bei Hilary Putnam, böse Neurowissenschafter: Was wäre, wenn ein solcher ein Gehirn in einer Nährlösung am Leben erhielte und ihm via Computer vorgaukelte, es sei noch am Leben und nehme an der Welt teil? Natürlich gibt es pragmatische Bedenken gegen solche Szenerien, ein richtig starkes Gegenargument gibt es aber nicht.
In der antiken Philosophie qualifizierten Denken und Rationalität die Seele für die Unsterblichkeit. Die aktuelle Vision ist der Upload der Gehirninhalte auf eine Festplatte und damit die Transformation des Menschen in Information, wie sie am konsequentesten der Autor, Erfinder und Futurist Ray Kurzweil vertritt. Er ist bekannt für seinen exzessiven Gebrauch von Vitamincocktails, Nahrungsergänzungsmitteln und allem, was angeblich langlebiger macht. Seine Hoffnung: In nicht allzu ferner Zukunft ist die Unsterblichkeit per Festplatte machbar und bis dahin gilt es durchzuhalten. Erst mit der richtigen Ernährung. Dann werden Nanobots uns helfen, den Körper vor dem Verfall zu retten. Und schließlich werden wir diesen überwinden und uns in Information verwandeln.
Die meiste Science-Fiction charakterisiert neben den futuristischen Technologien eine unbändige Nostalgie: Nicht umsonst finden sich bei Bruce Sterling die Revolutionäre im Museum zusammen: Sie eint die Liebe zur Kunst und Kultur der Vergangenheit. Spider Rose, eine Mechanisten-Frau in Sterlings gleichnamiger Kurzgeschichte, sitzt am Rande des Universums in einer biochemischen Vorrichtung, die ihre Lebensfunktionen mehr schlecht als recht aufrecht erhält, und späht und lauscht mit acht Teleskopen und Radar-Ohren in den leeren Himmel – um sich schließlich ein reptilienähnliches Wesen zu kaufen, das in der Lage ist, auf emotionale Bedürfnisse einzugehen. Und ebenso zahlreich, wie Menschen, die nach Unsterblichkeit gieren, sind in der Science-Fiction Roboter, die sich nichts sehnlicher wüschen als echte Haut, einen echten Körper, auch um den Preis des Verfalls. Meist geht es um Liebe. Und um Kreativität: um die Inspiration der Gegenwart durch die Science-Fiction der Vergangenheit.
zum Weiterlesen:
- Illah Reza Nourbakhsh, Robot Futures, MIT Press, 2013
- Ipke Wachsmuth, Menschen, Tiere und Max. Natürliche Kommunikation und künstliche Intelligenz, Spektrum Verlag , Heidelberg, 2013
- Zu den Arbeiten von William Tyler:
W.J. Tyler, Ultrasound for Neuromodulation? A Continuum Mechanics Hypothesis, The Neuroscientist 2011, zum Abstract
- Wynn Legon, Tomokazu F. Sato, Alexander Opitz, Jerel Mueller, Aaron Barbour, Amanda Williams, William J Tyler, Transcranial focused ultrasound modulates the activity of primary somatosensory cortex in humans, Nature Neuroscience 2014, 17, 322 – 329 (zum Abstract).
- Ausgabe des Magazins Torture mit Artikel über Neurowaffen, zum Magazin