Die Anatomie der Sprache
Warum verstehen Sie, was Sie gerade lesen? Weil in Ihrem Gehirn viele Netzwerke gleichzeitig arbeiten, um Bedeutungen abzurufen, Grammatik oder Wortformen.
Scientific support: Prof. Dr. Rainer Dietrich
Published: 27.04.2015
Difficulty: intermediate
- Sprache ist ein komplexes Phänomen, an dessen Produktion und Rezeption sehr viele Teile des Gehirns beteiligt sind.
- Wenn wir sprechen, benutzen wir neben Zunge und Kehlkopf auch Lippen, Gaumen inklusive Bogen, Segel und Zäpfchen sowie Rachen, Kehldeckel und Lunge. Auch Zähne und der Nasenraum sind für die Artikulation wichtig.
- Beim Verstehen analysiert unser Gehirn das Gehörte nach räumlichen und zeitlichen Merkmalen und gleicht es dann mit gespeicherten Wortformen, grammatikalischen Regeln, Satzstrukturen und Bedeutungen ab.
- Beim Sprechen ruft es Bedeutungen, Grammatik und Wortformen ab, gliedert sie metrisch, phonologisch und silbisch, überführt sie in motorische Arbeitsanweisungen und gibt sie an die Artikulationsorgane weiter.
- Neben dem Broca- und Wernicke-Areal sind viele weitere Hirnstrukturen für die Verarbeitung von Sprache nötig. Diese umfassen große Teile des Temporal-, Parietal- und Frontallappens und sind nicht auf Sprechen oder Verstehen spezialisiert, sondern übernehmen vermutlich differenzierte Aufgaben, wie zum Beispiel die Entschlüsselung komplexer Syntax. Um ihre Aufgabe zu erfüllen, sind mehrere Regionen über Faserbündel miteinander verbunden und wirken als Netzwerk zusammen.
Sekundärer auditorischer Cortex
Sekundärer auditorischer Cortex/-/secondary auditory cortex
Ein dem primären auditorischen Cortex (Großhirnrinde)nachgeschaltetes Areal im Temporallappen (Schläfenlappen), das vor allem mit dem Verständnis von Sprache assoziiert wird. Auch bekannt als Wernicke-Areal.
Frontallappen
Frontallappen/Lobus frontalis/frontal lobe
Der frontale Cortex ist der größte der vier Lappen der Großhirnrinde und entsprechend umfassend sind seine Funktionen. Der vordere Bereich, der so genannte präfrontale Cortex, ist für komplexe Handlungsplanung (so genannte Exekutivfunktionen) verantwortlich, die auch unsere Persönlichkeit prägt. Seine Entwicklung (Myelinisierung) braucht bis zu 30 Jahren und ist selbst dann noch nicht ganz abgeschlossen. Weitere wichtige Bestandteile des frontalen Cortex sind das Broca-Areal, welches unser sprachliches Ausdrucksvermögen steuert, sowie der primäre Motorcortex, der Bewegungsimpulse in den gesamten Körper aussendet.
Sprache wird hauptsächlich in einer Hirnhälfte verarbeitet, der so genannten dominanten Hirnhälfte. Bei Rechtshändern, also der Mehrheit der Bevölkerung, ist dies die linke. Jedoch spielt auch die nicht-dominante, also meist rechte Hirnhälfte eine wichtige Rolle bei der Sprachverarbeitung. Während in der dominanten Hirnhälfte vorwiegend die Laute und der Satzbau verarbeitet werden, ist die andere Hirnhälfte dafür zuständig, die Satzmelodie zu verstehen. Um dem Gehörten oder Gesagten einen Sinn zu verleihen, also die Bedeutungen eines Wortes oder Satzes zu verarbeiten, benötigen wir wiederum Regionen in beiden Hirnhälften.
Als die Hälfte der Mitglieder der englischen Familie KE Anfang der 1990er Jahre massive Sprachstörungen bekam, vermuteten Forscher eine genetische Ursache. 2001 kamen sie dem ersten Gen auf die Spur, das für eine korrekte Sprachentwicklung nötig ist: FoxP2. Kürzlich entschlüsselten Forscher am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik den genauen Mechanismus. Sie fanden heraus, dass FoxP2 das Längenwachstum und die Verästelung von Nervenzellen unterstützt und so die für den Spracherwerb notwendigen neuronalen Netzwerke schafft. FoxP2 ist jedoch nicht das einzige Gen, das für Sprache und Sprechen wichtig ist, und hat weitere Funktionen außerhalb der Sprachverarbeitung.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Ich sitze vor einer dunklen Fensterscheibe. Im Raum pocht es rhythmisch. Unruhig wandert mein Blick über die Apparaturen. Die Luft flimmert vor den Monitoren. Eine Lautsprecher-Stimme durchbricht die gespannte Atmosphäre: „Dann ruft den Fahrer der Baron.” Ich werfe einen Blick auf den Monitor vor mir. Alles im grünen Bereich. Durch die dicke Scheibe kann ich schemenhaft M.’s Fußsohlen erkennen. Sein Oberkörper verschwindet in einer großen weißen Röhre.
Was da im Keller eines ostdeutschen Uniklinikums gerade vor sich geht, ist eine Messung mit Magnetresonanztomografie, kurz: MRT. Die MRT-Röhre ist meine Pforte zum Gehirn. Mit ihr will ich als Hirnforscherin dem Geheimnis der Sprache auf den Grund gehen. Herr M. hilft mir dabei.
Ständig benutzen wir Sprache. Wir telefonieren, lesen oder sehen fern, ohne darüber nachzudenken. Dabei ist Sprache unglaublich kompliziert. Denken Sie nur an Kinder, die mit Mühe sprechen lernen müssen. Oder an das Erlernen einer Fremdsprache mit all ihrer Grammatik, ihren Millionen von Wörtern und ihrer diffizilen Aussprache. Wir Muttersprachler produzieren dagegen täglich 16.000 Wörter wie aus dem Effeff. Oder schreiben pro Tag geschlagene 145 Minuten Textnachrichten – zumindest junge Frauen. Wie schafft unser Gehirn das?
Um die 100 Muskeln steuert unser Gehirn, die beim Sprechen nicht nur die Zunge und unseren Kehlkopf bewegen, sondern auch Lippen, Gaumen, Rachen, Kehldeckel und Lunge. Auch Zähne und der Nasenraum sind für die Artikulation wichtig. Damit erzeugen wir bis zu 180 Wörter oder 500 Silben pro Minute.
Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging
Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.
Ein Wunder der Koordination
Doch das ist nur der motorische Teil der Sprachproduktion. Tatsächlich leistet das Gehirn weitaus mehr, wenn wir sprechen. Oder Sprache hören: Die Ohren nehmen die Schallwellen des Sprechers auf und leiten sie an die Haarzellen im Innenohr weiter. Von dort gelangt das akustische Signal zum auditorischen Cortex, wo es nach räumlichen und zeitlichen Merkmalen analysiert wird. Um dann zu verstehen, was wir hören, muss das Gehirn die Information mit den Wortformen, grammatikalischen Regeln, Satzstrukturen und Bedeutungen abgleichen, die es gespeichert hat.
Jetzt geht es an die Antwort. Deren Planung – die Konzeptualisierung – ist vorsprachlich, hier geht es nur um Inhalte. Zur Formulierung braucht es dann Grammatik und Wortformen, die metrisch, phonologisch und silbisch gegliedert, in motorische Arbeitsanweisungen überführt und an die Artikulationsorgane weitergegeben werden. All das geschieht teilweise seriell, teilweise parallel oder zeitlich überlappend. Und das ganze in Millisekundenschnelle – eine Leistung, zu der kein Supercomputer der Welt bislang in der Lage ist.
Haarzellen
Haarzellen/-/hair cells
Sinneszellen des Innenohres, die sich im Corti-Organ und in den Bogengängen befinden. Die Haarzellen sind für die Transduktion (Umwandlung) der Schwingungen in elektrische Potentiale zuständig. Jede dieser Sinneszellen besitzt ca. 100 unterschiedliche lange, haarähnliche Ausstülpungen, die Stereozilien. Diese sind miteinander verbunden. Die Bewegung dieser Stereozilien durch die Schwingungen ist der eigentliche Schlüssel in der Signaltransduktion der Haarsinneszellen.
Es braucht mehr als nur zwei Sprachzentren
Für diese so genannten höheren kognitiven Funktionen benutzen wir weite Teile unserer Großhirnrinde und etliche Faserbündel, so genannte Fasciculi, die die benötigten Hirnregionen miteinander verbinden. Dabei war die Lehrmeinung lange Zeit eine andere: zwei Sprachareale gebe es, das Broca-Areal im Frontallappen zum Sprechen und das Wernicke-Areal im Temporallappen für das Verstehen von Sprache. Das MRT sprengte dieses Modell, denn es ermöglichte den Forschern, das Gehirn bei der Arbeit zu beobachten. Das war ein großer Schritt, denn bis zu diesem Zeitpunkt konnte man Rückschlüsse über seine Funktionsweise hauptsächlich dank Patienten mit spezifischen Ausfällen ziehen – und der Untersuchung ihres Gehirns nach ihrem Ableben.
Herr M. macht seine Sache gut. Er liegt still, hat die Augen geschlossen und atmet ruhig, konzentriert auf das, was er aus dem Lautsprecher hört: „Dann küsst der Vater den Jungen.“ – „Hat der Vater den Jungen geküsst?“ Herr M. überlegt kurz und drückt dann die Taste für „ja“.
Die Antwort ist richtig, Herr M. hat den Satzbau korrekt entschlüsselt. Ein paar Rechenschritte später verraten die MRT-Bilder, welche Hirnregionen er dafür benutzt hat. Sie bestätigen die Forschung der letzten Jahre: Es gibt nicht nur zwei Sprachzentren in der dominanten Hirnhälfte (siehe Info-Kasten); vielmehr entschlüsselt eine ganze Gruppe von Regionen den Satzbau schwieriger Sätze, eine andere den Satzbau einfacher Sätze, und eine dritte die Bedeutung von Wörtern. Und das unabhängig davon, ob wir sprechen oder zuhören. Diese Regionen umfassen das Broca– und Wernicke-Areal, darüber hinaus aber auch vordere Bereiche des Temporallappens sowie etliche Teile des Frontallappens (inferior anterior sowie posterior) und den unteren Parietallappen. Allein der Okzipitallappen, der für das Sehen zuständig ist, spielt bei der Sprachverarbeitung im Allgemeinen keine Rolle.
Frontallappen
Frontallappen/Lobus frontalis/frontal lobe
Der frontale Cortex ist der größte der vier Lappen der Großhirnrinde und entsprechend umfassend sind seine Funktionen. Der vordere Bereich, der so genannte präfrontale Cortex, ist für komplexe Handlungsplanung (so genannte Exekutivfunktionen) verantwortlich, die auch unsere Persönlichkeit prägt. Seine Entwicklung (Myelinisierung) braucht bis zu 30 Jahren und ist selbst dann noch nicht ganz abgeschlossen. Weitere wichtige Bestandteile des frontalen Cortex sind das Broca-Areal, welches unser sprachliches Ausdrucksvermögen steuert, sowie der primäre Motorcortex, der Bewegungsimpulse in den gesamten Körper aussendet.
Temporallappen
Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe
Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-Sprachzentrum.
Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging
Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Temporallappen
Temporallappen/Lobus temporalis/temporal lobe
Der Temporallappen ist einer der vier großen Lappen des Großhirns. Auf Höhe der Ohren gelegen erfüllt er zahlreiche Aufgaben – zum Temporallappen gehören der auditive Cortex genauso wie der Hippocampus und das Wernicke-Sprachzentrum.
Frontallappen
Frontallappen/Lobus frontalis/frontal lobe
Der frontale Cortex ist der größte der vier Lappen der Großhirnrinde und entsprechend umfassend sind seine Funktionen. Der vordere Bereich, der so genannte präfrontale Cortex, ist für komplexe Handlungsplanung (so genannte Exekutivfunktionen) verantwortlich, die auch unsere Persönlichkeit prägt. Seine Entwicklung (Myelinisierung) braucht bis zu 30 Jahren und ist selbst dann noch nicht ganz abgeschlossen. Weitere wichtige Bestandteile des frontalen Cortex sind das Broca-Areal, welches unser sprachliches Ausdrucksvermögen steuert, sowie der primäre Motorcortex, der Bewegungsimpulse in den gesamten Körper aussendet.
inferior
inferior/inferior/inferior
Eine anatomische Lagebezeichnung — inferior bedeutet weiter unten gelegen, der untere Teil.
posterior
posterior/-/posterior
Eine Lagebezeichnung – posterior bedeutet „nach hinten, hinten gelegen“. Im Bezug auf das Nervensystem handelt es sich um eine Richtung zum Schwanz hin.
Parietallappen
Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe
Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.
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Graue Zellen und weiße Substanz
Zu wissen, welche Hirnregionen bei Sprache mitmischen, ist nicht nur spannend, sondern wird leider auch zunehmend wichtig: Bis zum Jahr 2050 wird sich die Zahl der Schlaganfälle in unserer Gesellschaft verdoppeln. Viele davon gehen mit Sprachproblemen einher, und je mehr wir über die Anatomie der Sprache wissen, umso besser können wir helfen. Zum Beispiel Patienten mit Hirntumor, bei denen sprachverarbeitende Regionen zum Beispiel durch einen Tumor geschädigt sind, wie Herrn M. Dessen Tumor sitzt links oben im Parietallappen seines Gehirns, genau dort, wo sein graues Haar schütter wird. Auf dem Bildschirm hebt er sich dunkel und walnussgroß vom übrigen Gehirn ab. Und noch etwas ist zu erkennen: Wasser um den Tumor herum, das da nicht hingehört, ein so genanntes Ödem. Das Wasser befindet sich nicht in der grauen, sondern in der weißen Substanz.
Über die graue Substanz wissen wir einiges. Sie besteht aus den Körpern von Nervenzellen, liegt überwiegend an der Außenseite des Gehirns und bildet dort die Rinde des Großhirns. Dieser Rinde lassen sich teilweise recht eindeutige Funktionen zuordnen: Sehen, Hören, Motorik, auch Sprache. Die so genannte „weiße Substanz“ befindet sich innen im Gehirn. Sie besteht aus den Fortsätzen der Nervenzellen, so genannten Fasern, die sich in Bündeln zusammenlegen und so das ganze Gehirn durchziehen – wie U-Bahn-Linien, die die Vororte einer Großstadt miteinander vernetzen. Dabei übertragen sie Informationen zwischen den Regionen grauer Substanz, sodass diese miteinander kommunizieren können. Welches Faserbündel welche Informationen überträgt, ist vielfach noch nicht bekannt. Für Sprache will ich es herausfinden.
Dabei hilft mir Herr M., denn das Ödem in der weißen Substanz seines Gehirns bewirkt, dass einzelne Faserbündel lahmgelegt sind. Indem ich ihm Sprachaufgaben gebe, kann ich etwas über die Funktion dieser Bündel lernen: Sie sind vermutlich genau für die Aufgaben zuständig, bei denen er Schwierigkeiten hat.
Schlaganfall
Schlaganfall/Apoplexia cerebri/stroke
Bei einem Schlaganfall werden das Gehirn oder Teile davon zeitweilig nicht mehr richtig mit Blut versorgt. Dadurch kommt es zu einer Unterversorgung mit Sauerstoff und dem Energieträger Glukose. Häufigster Auslöser des Schlafanfalls ist eine Verengung der Arterien. Zu den häufigsten Symptomen zählen plötzliche Sehstörungen, Schwindel sowie Lähmungserscheinungen. Als Langzeitfolgen können verschiedene Arten von Gefühls– und Bewegungsstörungen auftreten. In Deutschland ging 2006 jeder dritte Todesfall auf einen Schlaganfall zurück.
Parietallappen
Parietallappen/Lobus parietalis/parietal lobe
Wird auch Scheitellappen genannt und ist einer der vier großen Lappen der Großhirnrinde. Er liegt hinter dem Frontal– und oberhalb des Occipitallappens. In seinem vorderen Bereich finden somatosensorische Prozesse statt, im hinteren werden sensorische Informationen integriert, wodurch eine Handhabung von Objekten und die Orientierung im Raum ermöglicht werden.
Graue Substanz
Graue Substanz/-/gray matter
Als graue Substanz wird eine Ansammlung von Nervenzellkörpern bezeichnet, wie sie in Kerngebieten oder im Cortex (Großhirnrinde) vorkommt.
Netzwerke im Konzert
Als Herr M. aus dem MRT kommt, ist er unsicher auf den Beinen. Seine Hand zittert leicht. Ich helfe ihm in die Schuhe und reiche ihm ein Glas Wasser. Schweißperlen auf seiner Stirn verraten, wie sehr ihn die Messung angestrengt hat. „Hier ist noch ein Formular, das Sie bitte ausfüllen, nachdem Sie etwas getrunken haben“, sage ich aufmunternd. Doch Herr M. greift sofort zum Stift anstatt zum Wasserglas. Ich bemerke meinen Fehler: Die Formulierung war zu kompliziert. Herr M. hat offensichtlich Probleme, den Satzbau schwieriger Sätze zu verstehen.
Bei der nächsten MRT-Messung fünf Wochen später geht es ihm schon wesentlich besser. Chirurgen haben den Tumor entfernt und Medikamente das unerwünschte Wasser aus seinem Gehirn beseitigt. Herr M. verarbeitet komplizierte Sätze wieder besser. Die Faserbündel, die vorher vom Ödem lahmgelegt waren, arbeiten wieder. Das unterstützt meine These: Genau diese Bündel, nämlich der Fasciculus arcuatus und der Fasciculus superioris longitudinalis der dominanten Hirnhälfte, sind beteiligt, wenn wir den Satzbau schwieriger Sätze entschlüsseln. Weitere Studien müssen diese These nun bestätigen.
Fürs erste bin ich mit meinen Ergebnissen zufrieden: Unser Gehirn besteht aus spezialisierten Netzwerken grauer und weißer Substanz, die sich anatomisch unterscheiden und jeweils eine eigene Funktion haben. So gibt es zum Beispiel ein Netzwerk, das den Satzbau schwieriger Sätze entschlüsselt, und eines, das die Bedeutung einzelner Wörter entschlüsselt. Das erste liegt hauptsächlich in der linken Hirnhälfte, während das zweite über beide Hirnhälften verteilt ist. Um einen Satz zu verstehen oder auszusprechen, verwendet unser Gehirn mehrere Netzwerke gleichzeitig. In gewissem Sinn ist es wie bei einem Orchester: Die Musiker einer Instrumentengruppe, zum Beispiel die ersten Geiger, hören aufeinander und stimmen sich untereinander ab, während sie einen Ton produzieren. Wenn die verschiedenen Töné aller Instrumentengruppen dann zum richtigen Zeitpunkt erklingen, entsteht ein Konzert.
Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging
Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.
zum Weiterlesen:
- Crystal, David: Die Cambridge Enzyklopädie der Sprache, Köln 1998.
- Friederici, Angela D. & Gierhan, Sarah M. E.: The language network. Current Opinion in Neurobiology, 2013; 23(2): 250 – 254 (Zum Abstract).
- Gierhan, Sarah M. E. et al.: Tracking the language pathways in edema patients: Preliminary results. In: U. Goltz (Hg.), Informatik 2012: Was bewegt uns in der/die Zukunft? 42. Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik e. V. (GI): 1102 – 1112. Bonn 2012 (Zum Text).
- Levelt, Willem J. M.: Speaking: From intention to articulation, Cambridge (u. a.) 1989.
- Internet-Blog zweier führender Akteure im Bereich Sprachverarbeitung (zum Text) [Stand: 05.03.2015]