Schlau, schlauer, Schimpanse?
Der Ideenreichtum von Schimpansen – insbesondere, wenn es um Nahrungsbeschaffung geht – ist legendär. Doch ob sie anderen Affen grundsätzlich überlegen sind, ist fraglich.
Scientific support: Prof. Dr. Hansjörg Scherberger
Published: 14.02.2020
Difficulty: easy
- Affen gelten als intelligent. Ob sie jedoch in ihren kognitiven Leistungen anderen Tieren überlegen sind und ob Menschenaffen andere nichtmenschliche Primaten in Sachen Intelligenz wirklich überflügeln, ist noch nicht ausreichend erforscht.
- Werkzeuggebrauch gilt als Zeichen für eine fortgeschrittene Geistesleistung. Allerdings verwenden nicht nur Menschenaffen Werkzeuge. Auch von Nichtmenschenaffen ist bekannt, dass sie etwa Steine nutzen, um Nüsse oder Schalentiere zu öffnen. Und sogar Vögel setzen Gegenstände für ihre Zwecke ein.
- Welche kognitiven Fähigkeiten sich bei unterschiedlichen Affenarten beobachten lassen, hängt unter anderem von der Sozialstruktur ihrer Gruppenverbände ab. Menschenaffen verfügen zumindest ansatzweise über eine „Theory of Mind“. Das heißt, sie können sich zumindest in gewissen Situationen in andere hineinversetzen. Dass dies bei Menschenaffen beobachtet wurde, heißt aber nicht, dass Tieraffen diese Fähigkeit nicht besitzen.
Auch Schimpansen lösen nicht alle Konflikte friedlich. Es kommt durchaus vor, dass die Tiere ihre Artgenossen töten – insbesondere dann, wenn sie zu anderen Gruppen gehören. Schimpansen sind außerordentlich territorial orientiert und offensichtlich verteidigen sie ihr Revier nicht nur, sie sind auch daran interessiert, es zu vergrößern. So lassen sich im Kibale-Nationalpark in Uganda brutale Szenen beobachten, wenn rivalisierende Affenhorden aufeinandertreffen. Es fließt Blut und nicht selten gibt es Tote. Die Motivation dahinter ist, das eigene Revier zu verteidigen und sogar zu vergrößern, wie Wissenschaftler der Arizona State University 2009 im Fachjournal PNAS (online) berichteten. Demnach hatten hier Schimpansen ihr Territorium dank kriegerischer Einsätze um 22 Prozent vergrößert. In der Folge stand der Gruppe mehr und bessere Nahrung zur Verfügung, sodass sie sich auch zahlenmäßig vergrößerte. Auch die Lebenserwartung der Sieger stieg durch die besseren Lebensbedingungen. Interessanterweise war die Teilnahme an den kriegerischen Aktionen offenbar freiwillig, aber durchaus lohnend für Einzeltiere: Sie konnten dadurch ihre Position in der Gruppe verbessern.
Das Verhalten und die kognitiven Fähigkeiten variieren nicht nur zwischen den Arten. Auch einzelne Affengruppen, die in unterschiedlichen Habitaten leben, haben unterschiedliche Lösungen und Qualifikationen entwickelt. Das belegen Daten aus dem PanAfrican Project, in dem Wissenschaftler 144 Schimpansengruppen beobachtet haben. Demnach legen Schimpansen in ihrem Verhalten eine beachtliche Diversität an den Tag. Sie etablieren bestimmte Techniken und geben die Informationen an die nächste Generation weiter. So entstehen regelrechte Kulturen. Auch bei Orang-Utans und Meeressäugern haben Wissenschaftler bereits die Existenz von Kulturen festgestellt.
Man stelle sich vor, ein begehrtes Leckerli dümpelt in einer kleinen Wasserpfütze weit unten in einem Plastikröhrchen, das an einem Gitter befestigt ist. Hineinfassen ist ausgeschlossen, dazu ist das Gefäß zu eng. Werkzeug ist keines zur Hand. Was also lässt sich unternehmen, um an den verlockenden Happen heranzukommen? Die Lösungsstrategie eines Schimpansen, der vor genau diesem Problem stand, war für unsere Begriffe zwar nicht besonders appetitlich, aber dafür ebenso verblüffend wie wirkungsvoll: Er kletterte an den Gitterstäben seines Geheges nach oben und pinkelte in das Gefäß. Die Belohnung – in diesem Fall eine Erdnuss – trieb auf dem steigenden Flüssigkeitspegel nach oben, sodass der Affe sie schließlich herausangeln und verspeisen konnte.
Die Anekdote ereignete sich vor einigen Jahren im Rahmen eines Experiments von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Die Forscher hatten nicht nur das Plastikröhrchen mit der Erdnuss am Gitter angebracht, sondern unweit davon auch einen Wasserspender. Sie wollten wissen, ob die Schimpansen wohl auf die Idee kämen, Wasser ins Gefäß zu spucken, um so die Nuss nach oben zu schwemmen. Das gelang tatsächlich 20 Prozent der Tiere. Damit schnitten sie besser ab als vierjährige Menschenkinder, von denen nur 8 Prozent der kleinen Probanden hinter den Wassertrick kamen.
Werkzeugnutzung bei Affen ist weiter verbreitet als gedacht
Schimpansen sind äußerst pfiffig, gerade wenn es darum geht, Futter zu beschaffen. Und sie gelten als Meister der Werkzeugnutzung. So löffeln einige von ihnen Termiten mit Blättern und andere fransen für die Termitenjagd biegsame Stöcke zu einer Art Pinsel aus, mit dem sie die Insekten aus ihren Löchern angeln. Außerdem gibt es Belege dafür, dass sie bereits seit Jahrtausenden Steine verwenden, um Nüsse zu knacken. Auch bei Orang-Utans haben Wissenschaftler beobachtet, dass sie Werkzeuge nutzen können, um an Nahrung zu kommen. Und Gorillas stochern mit langen Stöcken im trüben Wasser, um zu prüfen, wie tief es ist.
Allerdings: Als Alleinstellungsmerkmal und Beweis der überlegenen Intelligenz von Menschenaffen taugt die Werkzeugnutzung nicht. Denn auch manche Nichtmenschenaffen haben Werkzeug im Gebrauch. So knacken Langschwanzmakaken Krusten- und Schalentiere mit Hilfe von Steinen. Und Kapuzineraffen in Brasilien setzen Steine ein, um Nüsse zu öffnen, zu graben oder um Artgenossen mit lauten Schlaggeräuschen zu beeindrucken. Doch letztlich sind sogar manche Vögel sehr geschickt im Werkzeuggebrauch. Vor allem Rabenvögel haben hier von sich reden gemacht. Und erst kürzlich haben Zoologen beobachtet, dass Papageientaucher gezielt kleine Stöckchen für ihre Zwecke einsetzen – nämlich um sich zu kratzen.
Sind Schimpansen wirklich schlauer als andere Affen?
„Es gibt durchaus Hinweise darauf, dass sich Menschenaffen in ihren kognitiven Fähigkeiten von Nichtmenschenaffen unterscheiden“, sagt der Primatenforscher Alexander Mielke, der derzeit an der Universität Portsmouth in Großbritannien forscht. „Das überzeugendste Argument ist für mich, dass das Kleinhirn der Menschen und Menschenaffen von dem anderer Tierarten abweicht.“ Das Kleinhirn ist an einer Vielzahl emotionaler und kognitiver Fähigkeiten beteiligt, etwa wenn es um Kommunikation und soziales Verhalten geht.
Doch der Bauplan des Gehirns ist eben nur ein Teil der Geschichte. „Primaten sind ganz allgemein sehr kognitive Tiere“, sagt Thomas Bugnyar, Professor für Kognitive Ethologie am Department für Kognitionsbiologie der Universität Wien. Doch welche geistigen Leistungen sich beobachten lassen, hänge von vielen Faktoren ab, etwa von den Anforderungen, die die Umwelt an die Affen stellt. Und auch die Sozialstruktur der Tiere scheint eine große Rolle zu spielen. „Wir arbeiten mit Weißbüschelaffen, die bei der Jungtieraufzucht kooperieren “, so Bugnyar. „Das macht sie zu einem hervorragenden Modell, um soziales Lernen zu untersuchen.“ Kooperative Individuen seien eher bereit, Artgenossen unabhängig von der Gruppenhierarchie an ihrem Wissen teilhaben zu lassen, wie der Wiener Wissenschaftler erklärt.
Tutorials für Weißbüschelaffen
Bugnyar und seine Mitarbeiter hatten den Weißbüschelaffen im Labor ebenso wie in ihrem natürlichen Lebensraum einen Holzkasten mit Klapptür präsentiert. Der Inhalt: Bananen. Um an die Früchte zu kommen, mussten die Tiere die Tür zur Kiste entweder aufdrücken oder -ziehen. Nun durften zuerst ein oder zwei Tiere mit der Kiste trainieren. Danach kam der Rest der Gruppe dazu. Und tatsächlich lernten die anderen Weißbüschelaffen durch Beobachten und Nachahmen, wie sie an die Bananen kommen. Dabei wählten sie jeweils die Technik, die sie bei ihrem Lehrer abschauen konnten. Mehr noch: Die Tiere merkten sich die gelernte Lösung nachweislich über einen Zeitraum von mindestens zwei Jahren. Wie sich außerdem herausstellte, lernen die Tiere nicht nur von real anwesenden Artgenossen. Sie profitierten auch von Video-Tutorials, auf denen ihnen unbekannte Weißbüschelaffen vorführten, wie die Kiste zu öffnen ist.
Interessanterweise gelang es aber nicht allen Affen gleichermaßen vom Wissen der anderen zu profitieren. „Wir vermuten, dass auch die individuellen Persönlichkeitsmerkmale eine Rolle spielen, also ob ein Tier eher neugierig oder eher schreckhaft ist“, so Bugnyar. „Wie das zum Tragen kommt, untersuchen wir derzeit.“
Primatenforscher Mielke bestätigt die große Bedeutung von Sozialstrukturen für die kognitiven Leistungen verschiedener Affenarten. Doch es hängt auch von der Aufgabe ab, ob eher Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zum Tragen kommen. Mielke hatte im Rahmen seiner Dissertation am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig vergleichende Untersuchungen bei freilebenden Schimpansen und Rußmangaben vorgenommen. Beide Affenarten leben in großen Gruppen. Doch während Rußmangaben strikt hierarchisch organisiert sind, ist die Gesellschaftsstruktur der Schimpansen sehr viel flexibler. Wenn es ums Lausen geht, verhalten sich jedoch beide Affenarten vergleichbar: Sie checken ab, von wem sie beobachtet werden, bevor sie einen Partner zur Fellpflege wählen. So lausen sie bevorzugt ranghöhere Tiere, was ihnen vermutlich einen Vorteil in der Gruppe bringt. Andererseits vermeiden sie es, ein bestimmtes Gruppenmitglied zu lausen, wenn dessen Freunde ebenfalls anwesend sind. Denn dann steht zu befürchten, dass es zum Streit kommt. „Beide Arten entscheiden flexibel und berücksichtigen dabei die Informationen, die sie über alle verfügbaren Partner und ihr soziales Umfeld haben, um den maximalen Nutzen aus ihrer Entscheidung zu ziehen“, so Mielke. „Dass wir diese Ergebnisse bei beiden Affenarten nachweisen konnten, zeigt: Diese beeindruckende kognitive Leistung ist unter Primaten möglicherweise weit verbreitet.“
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Achtung! Gefahr! Die Sozialstruktur entscheidet, wie Affen einander warnen
Droht Gefahr, verhalten sich beide Affenarten jedoch deutlich unterschiedlich. Das zeigte sich, als die Leipziger Forscher Giftschlangen-Attrappen in der Nähe der Affengruppen positionierten. Rußmangaben, die den vermeintlichen Feind erspäht hatten, stießen einen Warnruf aus, um den Rest der Gruppe zu alarmieren. Wer später am Schlangentier vorbeikommt und den Alarm möglicherweise nicht gehört hat, schreit ebenfalls. „Die Warnrufe sind sehr unspezifisch an die gesamte Gruppe gerichtet“, so Mielke.
Anders bei den Schimpansen. Diese bleiben sitzen, bis jedes Gruppenmitglied die Gefahrenstelle passiert hat. „Das hängt vermutlich damit zusammen, dass Schimpansen eine wesentlich komplexere Sozialstruktur haben als Rußmangaben“, erklärt der Primatenforscher. Während die Rußmangaben den ganzen Tag als Gesamtgruppe unterwegs sind, teilen sich Schimpansen in kleine Untergrüppchen auf, die sich zu einem späteren Zeitpunkt wieder zusammenfügen. Wissenschaftler sprechen von Fission-Fusion-Systemen. In der Konsequenz wissen Schimpansen sehr genau, wer sich in ihrer Untergruppe befindet und vor einer möglichen Gefahr bewahrt werden muss.
„Das Leben im Fission-Fusion-System erfordert ein Höchstmaß an Koordination“, schwärmt Mielke. So gilt es nicht nur Untergruppen zu bilden. Die Tiere müssen sich auch darüber verständigen, welche Gruppe wohin geht, wer sie anführt und wie sie schließlich wieder zusammenzutreffen. „Wir haben beobachtet, dass Schimpansen ein riesiges Geschrei veranstalten, wenn sie auf eine Kleingruppe treffen, die sie nicht erwartet haben“, berichtet Mielke lachend. „Das deutet darauf hin, dass sie eine bestimmte Erwartungshaltung haben, auf welche Gruppen sie unterwegs treffen.“
Theory of Mind: Affen können sich in die Perspektive anderer versetzen
Mehr noch: Menschenaffen verfügen über ein Verständnis davon, was andere wissen, wie ein internationales Forscherteam um den Verhaltensforscher Michael Tomasello 2016 berichtete. Die Wissenschaftler zeigten Menschenaffen zwei kurze Videosequenzen. Einmal sieht ein Mann zu, wie sich eine Person im King-Kong-Kostüm im Heuhaufen versteckt. Der Mann verlässt die Szene und King-Kong schlüpft unbeobachtet aus dem Heuhaufen und verschwindet. An den Augenbewegungen der Affen ließ sich ausmachen, dass sie davon ausgingen, dass der zurückkehrende Mann King-Kong im Heuhaufen suchen würde – schließlich konnte er ja nicht wissen, dass dieser sich entfernt hatte. Der zweite Film im Affenkino war im Prinzip sehr ähnlich, nur dass diesmal ein Stein in einer Kiste versteckt worden war. Auch hier lösten die Affen die Aufgabe perfekt. „Dass wir bei Menschenaffen solche Beispiele für eine Theory of Mind beobachten, heißt aber noch lange nicht, dass wir sie anderen Affen absprechen dürfen“, warnt Primatenforscher Mielke. Es scheint mehr als plausibel, dass auch andere Tiere in der Lage sind, sich zumindest ein Stück weit in andere hineinzuversetzen. So ergaben die Untersuchungen von Thomas Bugnyar, dass etwa Rabenvögel eine Vorstellung davon haben, was ihre Artgenossen wissen können und was nicht (Siehe auch das Interview dazu).
Um also die Intelligenz von Schimpansen und anderen Menschenaffen richtig einordnen zu können, bedarf es viel mehr vergleichender Studien mit anderen Arten. „Wir dürfen nicht außer Acht lassen, dass die kognitiven Fähigkeiten von Menschenaffen, insbesondere von Schimpansen, schon viel länger untersucht werden als bei anderen Tieren“, betont Bugnyar. „Bei vielen Affenarten ebenso wie bei anderen Tieren wissen wir schlicht und ergreifend noch nicht, wie intelligent sie tatsächlich sind.“
Zum Weiterlesen:
- Mielke A, Crockford C, Wittig RM Snake alarm calls as a public good in sooty mangabeys. Animal Behaviour, 2019 Dez, 158:201-209. ( zum Volltext ).
- Samuni, L., Mielke, A., Preis, A. et al. Intergroup Competition Enhances Chimpanzee (Pan troglodytes verus) In-group Cohesion. Int J Primatol, 2019 Dez, published online ( zum Volltext ).