Risiko-Gen wirkt sich frühzeitig auf das Gehirn aus

© RUB, Marquard
Das Gehirn von jungen Menschen arbeitet möglicherweise anders, wenn sie ein genetisches Risiko für Alzheimer haben.

Die Aktivität des Gehirns junger Menschen bei der Erinnerung an ähnliche Geschehnisse könnte Hinweise für das spätere Risiko geben.

Source: Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Ruhr-Universität Bochum

Published: 15.09.2020

Eine genetische Veranlagung für die altersbedingte Form der Alzheimer-Erkrankung beeinflusst, wie die Gehirne junger Erwachsener bestimmte Gedächtnisaufgaben verarbeiten. Fachleute des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und der Ruhr-Universität Bochum (RUB) berichten darüber im Fachjournal „Current Biology“. Ihre Ergebnisse beruhen auf Untersuchungen mit der Magnetresonanztomografie an Personen im Alter von etwa 20 Jahren. Die Forschenden vermuten, dass die beobachteten Effekte mit sehr frühen Krankheitsprozessen zusammenhängen könnten.

Die Ursachen für Alzheimer im hohen Alter sind nur ansatzweise verstanden. Man geht davon aus, dass die Erkrankung durch ein unglückliches Zusammenspiel von Lebensstil, äußeren Faktoren und genetischen Risiken entsteht. Der größte genetische Risikofaktor für die altersbedingte Form der Alzheimer-Erkrankung geht auf erbliche Mutationen zurück, die das Gen für Apolipoprotein E, kurz ApoE, betreffen – einen für Fettstoffwechsel und Nervenzellen bedeutsamen Eiweißstoff. Vom ApoE-Gen sind drei Varianten bekannt. Die häufigste Form steht für ein durchschnittliches Alzheimer-Risiko – eine der beiden selteneren Varianten für ein erhöhtes, die andere für ein verringertes Risiko.

„Uns hat interessiert, ob und wie sich die verschiedenen Genvarianten auf die Hirnfunktion auswirken. Deshalb haben wir die Gehirne junger Erwachsener im Hirnscanner untersucht, während sie eine Aufgabe lösen mussten, die ihr Gedächtnis herausforderte“, erläutert Dr. Hweeling Lee, die die aktuelle Studie am DZNE in Bonn leitete.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Gen

Gen/-/gene

Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.

Neuron

Neuron/-/neuron

Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Unterscheidung ähnlicher Geschehnisse

Die Gruppe der Versuchsteilnehmenden umfasste 82 junge Frauen und Männer. Sie waren jeweils etwa 20 Jahre alt, alle studierten an einer Universität und galten als kognitiv gesund. Gemäß ihrer Erbanlagen für ApoE hatten 33 Teilnehmende ein durchschnittliches, 34 ein erhöhtes und 15 ein verringertes Risiko, im späten Alter an Alzheimer zu erkranken. Allen Probanden wurden während der Untersuchung im Hirnscanner über einen Monitor nacheinander mehr als 150 verschiedene Abbildungen vorgespielt. Es waren alltägliche Dinge: beispielweise ein Hammer, eine Ananas oder eine Katze. Einige Bilder wurden nach einer Weile wiederholt, manchmal hatte sich dabei die Position der dargestellten Objekte auf dem Bildschirm verändert. Die Studienteilnehmenden hatten nun die Aufgabe, zu erkennen, ob ein Objekt neu oder zuvor bereits gezeigt worden war – und falls dies ihrer Meinung nach zutraf, ob sich dessen Lage verändert hatte.

„Wir haben die Fähigkeit getestet, ähnliche Geschehnisse voneinander zu unterscheiden. Das nennt man Muster-Trennung“, sagt Hweeling Lee. „Im Alltag geht es beispielsweise darum, sich daran zu erinnern, ob man einen Schlüssel in der linken oder der rechten Schublade einer Kommode abgelegt hat oder auf welchem Platz innerhalb eines Parkhauses das Auto abgestellt wurde. Solche Situationen haben wir in vereinfachter Weise nachgestellt, indem wir die Position der abgebildeten Gegenstände verändert haben.“

Detailschärfe durch modernste Technik

Parallel zu dieser Versuchsreihe wurde mit funktioneller Magnetresonanztomografie die Hirnaktivität der Probanden registriert. Im Fokus stand der Hippocampus, ein nur wenige Kubikzentimeter großes Areal, das einmal in jeder Gehirnhälfte vorkommt. Der Hippocampus gilt als Schaltzentrale des Gedächtnisses. Außerdem zählt er zu jenen Hirnbereichen, in denen bei einer Alzheimer-Erkrankung erste Schäden auftreten.

Bei der Messung der Hirnaktivität konnte der Scanner sein Potenzial voll ausspielen: Es handelte sich um einen Ultra-Hochfeld-Tomografen mit einer Magnetfeldstärke von sieben Tesla. Solche Geräte erreichen eine bessere Auflösung als Hirnscanner, die bei medizinischen Untersuchungen üblicherweise zum Einsatz kommen. Dies ermöglichte es den Forschenden, die Hirnaktivität in diversen Teilbereichen des Hippocampus mit hoher Präzision zu erfassen. „Bislang gab es keine vergleichbaren Studien mit solcher Detailschärfe an Teilnehmern, die hinsichtlich ApoE genotypisiert waren. Das ist ein besonderes Merkmal unserer Studie“, so Hweeling Lee.

Magnetresonanztomographie

Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging

Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Gedächtnis

Gedächtnis/-/memory

Gedächtnis ist ein Oberbegriff für alle Arten von Informationsspeicherung im Organismus. Dazu gehören neben dem reinen Behalten auch die Aufnahme der Information, deren Ordnung und der Abruf.

Keine Unterschiede in der Gedächtnisleistung

Hinsichtlich der Fähigkeit zur Mustertrennung gab es keine Unterschiede zwischen den drei Probandengruppen. „Alle Studienteilnehmer waren im Gedächtnistest ähnlich gut – unabhängig davon, ob sie ein erhöhtes, ein verringertes oder ein durchschnittliches Risiko für Alzheimer hatten. Bei jungen gesunden Menschen sind solche Ergebnisse durchaus zu erwarten“, so Prof. Dr. Nikolai Axmacher, Professor für Neuropsychologie an der RUB, der an der aktuellen Studie beteiligt war. „Unterschiede gab es gleichwohl in der Hirnaktivität. Die verschiedenen Probandengruppen aktivierten die diversen Unterbereiche des Hippocampus in unterschiedlicher Weise und unterschiedlich stark. Ihre Gehirne reagierten also unterschiedlich auf die Gedächtnisaufgabe. Tatsächlich haben wir Unterschiede in der Hirnaktivierung nicht nur zwischen Personen mit durchschnittlichem und erhöhtem Risiko beobachtet, sondern auch zwischen Personen mit durchschnittlichem und reduziertem Risiko.“

Ob diese Effekte für die Entwicklung einer Alzheimer-Erkrankung im Alter von Bedeutung sind, ist aktuell ungewiss. „Unsere Befunde könnten mit sehr frühen Krankheitsprozessen zusammenhängen. Dies zu klären, ist eine Aufgabe für künftige Studien und könnte dazu beitragen, Biomarker für die Früherkennung von Demenz zu entwickeln“, meint Hweeling Lee. „Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich eine genetische Veranlagung für Alzheimer schon im jungen Erwachsenenalter im Gehirn widerspiegelt.“

Hippocampus

Hippocampus/Hippocampus/hippocampual formatio

Der Hippocampus ist der größte Teil des Archicortex und ein Areal im Temporallappen. Er ist zudem ein wichtiger Teil des limbischen Systems. Funktional ist er an Gedächtnisprozessen, aber auch an räumlicher Orientierung beteiligt. Er umfasst das Subiculum, den Gyrus dentatus und das Ammonshorn mit seinen vier Feldern CA1-​CA4.

Veränderungen in der Struktur des Hippocampus durch Stress werden mit Schmerzchronifizierung in Zusammenhang gebracht. Der Hippocampus spielt auch eine wichtige Rolle bei der Verstärkung von Schmerz durch Angst.

Biomarker

Biomarker/-/biomarker

In der Medizin versteht man unter einem Biomarker eine Substanz, die Hinweise auf den physiologischen Zustand eines Organismus gibt. Biomarker können entweder im Körper selbst entstehen oder chemische Verbindungen beschreiben, die Ärzte dem Körper zuführen, um an ihrem Schicksal bestimmte physiologische Funktionen zu testen. In Bezug auf die Alzheimer-​Krankheit sind mehrere Indikatoren als mögliche Biomarker im Gespräch. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Konzentration an löslichem Amyloid-​Vorläuferprotein im Blut sowie um die Aktivität des Enzyms, welches das Vorläuferprotein so zerschneidet, dass hieraus das plaquebildende Beta-​Amyloid hervorgeht. Oft werden auch krankheitsbezogene Veränderungen, die mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, als Biomarker bezeichnet. So kann man zum Beispiel den Abbau von Gehirngewebe im MRT erkennen.

Demenz

Demenz/Dementia/dementia

Demenz ist ein erworbenes Defizit kognitiver, aber auch sozialer, motorischer und emotionaler Fähigkeiten. Die bekannteste Form ist Alzheimer. „De mentia“ bedeutet auf Deutsch „ohne Geist“.

Originalpublikation

Hweeling Lee, Rüdiger Stirnberg, Sichu Wu, Xin Wang, Tony Stöcker, Sonja Jung, Christian Montag, Nikolai Axmacher: Genetic Alzheimer’s disease risk affects the neural mechanisms of pattern separation in hippocampal subfields, in: Current Biology, 2020, DOI: 10.1016/j.cub.2020.08.042

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