Steter Tropfen führt zum Schlaganfall

Grafik: MW

Zwar ist ein Schlaganfall an sich ein plötzliches Ereignis, doch er bildet das dramatische Finale eines langen, schleichenden Prozesses. Und der lässt sich durch die eigene Lebensführung beeinflussen.  

Scientific support: Prof. Dr. Jens Dreier

Published: 18.06.2021

Difficulty: easy

Das Wichtigste in Kürze
  • Ungünstige Gene erhöhen das Schlaganfallrisiko. Viel bedeutender ist jedoch der Lebensstil. Er kann das genetische Risiko sogar überwinden. 
  • Ein Schlaganfall selbst ist zwar ein plötzliches Ereignis –zuvor jedoch führen Schäden an Herz und Gefäßen schleichend zur Katastrophe – bis der letzte Tropfen das Fass zum Überlaufen bringt. 
  • Die beste Vorbeugung ist daher Herz und Gefäße gesund zu halten: Mit guter Ernährung, Nikotinverzicht, Sport, aber auch der richtigen Dosis Entspannung.

Rund 270.000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Schlaganfall – etwa 70.000 bereits zum wiederholten Male. Und auch wenn so mancher süddeutsche Dialekt dazu tendiert, ihn sprachlich zu verniedlichen – „Schlägle“ sagt etwa der Schwabe, während unsere österreichischen Nachbarn vom „Schlagerl“ sprechen – handelt es sich um ein gravierendes medizinisches Ereignis: Der Schlaganfall ist hierzulande die dritthäufigste Todesursache und die häufigste Ursache für erworbene körperliche und geistige Behinderungen bei Erwachsenen. Und selbst wenn Betroffene ihren Schlaganfall vermeintlich gut überstehen, hinterlässt er doch unsichtbare Spuren, von denen lebenslang Gefahr droht  (Link Entzündungen).

Vom Schlag getroffen – so fühlen sich viele Betroffene angesichts ihres Hirninfarkts. Doch ein gar so plötzliches Ereignis ist er eigentlich nicht. Vielmehr kommt eine ganze Reihe von Faktoren zusammen, häufig über einen langen Zeitraum, die letztlich in die gefürchtete Durchblutungsstörung oder eine Hirnblutung münden. Doch nicht wenige diese Faktoren lassen sich beeinflussen. Die Deutsche Schlaganfall-Hilfe geht sogar so weit zu sagen, dass 70 Prozent aller Schlaganfälle durch geeignete präventive Therapien vermeidbar wären. 

„Das trifft zumindest für eine ganz spezielle Gruppe von Schlaganfällen zu: Solche, denen ein Vorhofflimmern, also eine bestimmte Art von Herzrhythmusstörung zugrunde liegt“, sagt Christian Nolte, Oberarzt in der neurologischen Klinik am Campus Benjamin Franklin der Charité in Berlin. Wenn es um Risikofaktoren geht, die im Zusammenhang mit dem persönlichen Lifestyle stehen, ist er da weitaus vorsichtiger. „Unter dem Begriff Schlaganfall werden eigentlich viele Krankheiten mit unterschiedlichen Ursachen in einen Topf geworfen“, so Nolte. Außerdem sei der Einfluss des persönlichen Lebensstils sehr komplex. Denn auch hier kämen sehr viele Faktoren zusammen, die sich nicht unbedingt klar voneinander trennen lassen. „Es sollte beim Patienten nicht der Eindruck entstehen, dass er oder sie an der Erkrankung selbst Schuld sei“, betont der Berliner Schlaganfall-Experte. „Vielmehr sollte bewusst gemacht werden, dass jeder durchaus etwas tun kann, um das individuelle Risiko zu senken.“

Lifestyle sticht Genetik

Zunächst einmal: Jeder von uns bringt ein individuelles Risiko mit, irgendwann in seinem Leben einen Schlaganfall zu erleiden. Das wurde uns quasi in die Wiege gelegt, beziehungsweise in unser Erbgut geschrieben. So kennen Wissenschaftler heute eine ganze Reihe von Genvarianten, die das Risiko für einen Schlaganfall erhöhen oder auch senken können. „Die Natur ist da nicht gerecht“, so Nolte. 

Allerdings: Mit einem geeigneten Lebensstil lässt sich diesem genetisch vorgegebenen Risiko entgegenwirken. Das fand ein deutsch-britisches Forscherteam 2018 heraus, das der Frage nachging, inwiefern sich Gene und Lebensführung auf das Risiko auswirken, einen Schlaganfall zu erleiden. Dazu nahmen sie Daten der so genannten MEGASTROKE-Analyse unter die Lupe. Die Studie hatte zuvor bei über 520.000 weißen Europäern Genvarianten aufgespürt, die sich mit einem Schlaganfall in Verbindung bringen ließen. Darauf aufbauend entwickelten die Wissenschaftler einen genetischen Risiko-Score. Diesen wendeten sie dann auf die prospektive UK-Biobank-Kohortenstudie an, teilten die Probanden also in drei Gruppen mit hohem, mittlerem und geringem genetischen Schlaganfall-Risiko.

Die UK-Biobank enthält die biologischen Informationen von 500.000 Briten im Alter zwischen 40 und 69 Jahren: Genprofile sowie detaillierte Angaben zur Ernährung, aber auch zum Lebensstil. So war es möglich, die Teilnehmer im zweiten Schritt nach gesunder, mäßig gesunder und ungesunder Lebensführung einzugruppieren. Als gesund wurde eingestuft, wer nicht raucht, nicht allzu dick ist (BMI unter 30), sich mit viel Obst und Gemüse und Fisch ernährt und mindestens drei Stunden pro Woche moderat oder anderthalb Stunden intensiv Sport macht. 

Das deutliche Ergebnis: Die Gefahr, einen Schlaganfall zu erleiden, war bei Personen mit hohem genetischen Risiko um 35 Prozent höher als bei jenen mit geringem genetischen Risiko. Bei ungesunder Lebensführung steigert sich das Risiko gegenüber einer gesunden Lebensführung schon um 66 Prozent. Wer genetisch schlechte Voraussetzungen mitbringt und zusätzlich ungesund lebt, dem bescheinigten die Forscher sogar ein 130 Prozent höheres Risiko, einen Schlaganfall zu erleiden. „Die Ergebnisse belegen, dass sich ein gesunder Lebensstil zur Schlaganfallprävention lohnt – unabhängig vom genetischen Risikoprofil", sagt Martin Dichgans, Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Universität München, der von deutscher Seite an der Studie beteiligt war.

Arno Villringer, Direktor am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Gehirnwissenschaften in Leipzig bestätigt: „Praktisch alles, was in unseren Genen als Risikofaktor angelegt ist, können wir durch unser Verhalten überwinden.“ Oder anders ausgedrückt: An den Genen können wir nicht viel ändern, an den Risikofaktoren hingegen schon. Diese, Villringer zählt sie auf, sind Rauchen, hoher Blutdruck, hohe Cholesterinwerte, Diabetes mellitus und Depression. „Hat man das alles nicht“, sagt Villringer, „so verringert sich das Risiko einen Schlaganfall zu erleiden um 80 bis 90 Prozent.“ 

Ein Schlaganfall ist zwar ein plötzliches Ereignis. Davor liegt aber ein langer, schleichender Prozess. „Wenn ich als jüngerer Mensch ein höheres Risiko aufgrund genetischer Vorbedingungen für einen höheren Blutdruck habe, dann muss ich mehr gegen hohen Blutdruck tun“, rät Villringer daher. 

Das klingt logisch, aber möglicherweise auch einfacher, als es ist. „Auch wenn epidemiologische Studien gezeigt haben, dass bestimmte Risikofaktoren mit einer erhöhten Gefahr einhergehen, einen Schlaganfall zu erleiden, heißt das nicht zwingend, dass das Risiko sinkt oder gar entfällt, wenn wir diese Risikofaktoren durch Gegenmaßnahmen reduzieren“, betont Nolte. Manche Forscher unterschieden deshalb auch zwischen Faktoren und Indikatoren. Faktoren sind Eigenschaften, die sich beeinflussen lassen. Indikatoren zeigen ein Risiko an, das sich nicht verändern lässt (Gene, Alter), oder Aspekte, deren Veränderung das Risiko nicht zu senken vermag. 

So veröffentlichte ein Wissenschaftlerteam um Heinrich Audebert, stellvertretender Klinikdirektor am Campus Benjamin Franklin der Charité in Berlin im November 2019 eine recht ernüchternde Studie. Die Forschenden hatten dafür mehr als 2.000 Schlaganfallpatienten mit relativ leicht beeinflussbaren Risikofaktoren wie Diabetes, Bluthochdruck. Vorhofflimmern und Rauchen rekrutiert – aus sieben deutschen und einer dänischen Klinik. Etwa die Hälfte der Patienten wurde zusätzlich zu den normalen Maßnahmen nach Schlaganfall in ein Präventionsprogramm aufgenommen, das sie dabei unterstützen sollte, diese Faktoren zu minimieren. Das gelang den Patienten auch. Doch ihr Risiko für einen weiteren Schlaganfall vermochte das Programm dennoch nicht zu senken.

„Sekundärprävention, die nach einem Schlaganfall erfolgt, hat andere Effekte als Primärprävention bei Gesunden“, räumt Nolte ein. „Aber das Ergebnis unterstreicht, wie komplex die Sache ist.“ Zudem sei es schwierig, geeignete Studien zu designen, die den Effekt präventiver Maßnahmen bei Personen ohne vorangegangenen Schlaganfall detailliert untersuchen, gibt der Schlaganfall-Experte zu bedenken, der am Centrum für Schlaganfallforschung Berlin das Team für klinische Studien leitet.

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Vaskuläre Gesundheit ist Trumpf

Was man mit Sicherheit sagen kann: Schlaganfälle entstehen durch vaskuläre Ereignisse, wie Mediziner sagen, also durch verschiedene Schäden an den Gefäßen. Entsprechend ist jeder gut beraten, dafür zu sorgen, seine Gefäße möglichst gesund zu halten – darüber sind sich Experten weltweit einig.

„Konkret können wir Ärzte dazu raten, weniger Salz, weniger tierische und dafür mehr pflanzliche Fette sowie mehrere Portionen Obst und Gemüse am Tag zu genießen“, sagt Nolte. Das seien Hebel, mit denen jeder relativ leicht sein vaskuläres Risiko senken könne. „Auch ein moderater Konsum von Schokolade, Kaffee und Tee können sich positiv auswirken, wie einige Studien nahelegen.“ Villringer hingegen sieht in diesen Genüssen eher Nebenschauplätze, nicht entscheidend, um Gefäße auf Dauer vor Verkalkung, Entzündung oder vor Gerinnseln zu schützen. Gleiches gelte für Kurkuma. Einmal mehr zeigt sich also, dass Empfehlungen in Sachen Schlaganfallprävention nicht so einfach sind.

Interessanterweise scheint eher die Ernährungsumstellung selbst relevant zu sein, als eine Gewichtsreduktion. „Wenn übergewichtige Menschen abnehmen, hat das auf jeden Fall einen positiven Einfluss auf ihre Gesundheit“, so Nolte. Doch das betreffe eher die Gelenke oder das Risiko für einen Herzinfarkt. Auf das Schlaganfallrisiko habe die Abnahme kaum einen Einfluss. „Zudem legen einige Studien nahe, dass leicht Übergewichtige bessere Überlebenschancen bei einem Schlaganfall haben, als Normalgewichtige.“ Experten nennen diese überraschende Beobachtung das Adipositas-Paradox. Als Freifahrtschein, jetzt ordentlich zuzulangen und weiter zuzunehmen, sollte dies aber nicht verstanden werden.

Ein weiterer, recht eindeutiger Baustein für die Prävention ist der Verzicht auf Nikotin. Bereits der gewohnheitsmäßige Konsum einer einzelnen Zigarette pro Tag erhöht laut einer britischen Studie das Schlaganfallrisiko bei Männern um 25 Prozent, bei Frauen um 31 Prozent. Wer der Gesundheit zuliebe das Rauchen aufgibt, sollte es daher lieber ganz lassen, statt lediglich die Menge zu reduzieren, wie die Studienautoren raten. Das gilt einer amerikanischen Studie zufolge auch für E-Zigaretten: Ein alleiniger Wechsel vom Glimmstängel zum Dampfen bringt demnach keine Verbesserung im Hinblick auf das Schlaganfallrisiko. Die gute Nachricht: Wer es schafft, ganz vom Rauchen zu lassen, hat sein Risiko nach fünf rauchfreien Jahren bereits um 42 Prozent reduziert. 

Und dann ist da die Sache mit dem Sport: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt, sich an mindestens fünf Tagen in der Woche jeweils mindestens 30 Minuten lang zu bewegen. Bereits geringe Bewegung erzielt dabei nachweisbar Effekte. „Also zum Beispiel ein regelmäßiger flotter Spaziergang“, sagt Nolte. Man muss es nicht gleich übertreiben, um sein Schlaganfallrisiko zu senken. 

Entspannt das Risiko reduzieren

Doch nicht nur der Körper, auch die Seele trägt zum Schlaganfallrisiko bei. So haben Studien ergeben, dass chronischer Stress mit einem mehr als zweifach erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse einhergeht. Und bei Menschen mit Depressionen erhöht sich die Gefahr, einen Schlaganfall zu erleiden, im Vergleich zu Nichtdepressiven um das bis zu Vierfache. Stressreduktion – oder umgekehrt, gezielte Entspannung – ist also ebenfalls wichtig für die Schlaganfall-Prävention. „Wer andere Risikofaktoren im Griff hat – also nicht raucht, nicht übergewichtig ist und gesund lebt – muss sich zunächst einmal keine Sorgen machen“, ordnet Arno Villringer ein. „Wer allerdings häufig negativen Stress empfindet, sollte versuchen, diesen gezielt abzubauen, zum Beispiel mit autogenem Training oder Meditation.“

Manche Studien liefern Hinweise darauf, dass Menschen, die sich regelmäßig ein Mittagsschläfchen gönnen, ein geringeres Schlaganfallrisiko haben. Vielleicht steckt auch hier das Plus an Entspannung dahinter. So hatten Schweizer Wissenschaftler 3.462 Bürger der Stadt Lausanne zufällig ausgewählt. Die Studienteilnehmer ­– zum Studienbeginn zwischen 35 und 75 Jahre alt – wurden das erste Mal im Zeitraum von 2009 bis 2012 untersucht, fünf Jahre später erfolgte die zweite Untersuchung. Eine Woche vorher wurden sie nach ihren Schlafgewohnheiten befragt. Etwas mehr als die Hälfte (58 Prozent) gab an, keinen Mittagsschlaf gehalten zu haben. Einer von fünf Befragten hielt ein bis zwei Mal pro Woche Siesta, einer von zehn sogar noch öfter. Die Wissenschaftler stellten fest: Bereits ein bis zweimal in der Woche mittags zu ruhen, halbierte das Risiko auf einen Schlaganfall im Vergleich zu Personen, die nie ein Nickerchen hielten. Allerdings sind Studiendaten zum Schlafverhalten recht widersprüchlich. So haben andere Forschende beobachtet, dass ein sehr ausgedehnter Mittagsschlaf von mehr als 89 Minuten Dauer, und überhaupt überdurchschnittlich lange Schlafzeiten das Schlaganfallrisiko eher erhöhen.

Wer aber hätte gedacht, dass sogar ein Haustier der vaskulären Gesundheit auf die Sprünge helfen kann? Zu diesem Schluss kommt etwa die amerikanische Herzgesellschaft nach Auswertung mehrerer Studien. So vermögen Haustiere den psychosozialen Stress zu reduzieren, weil sie Menschen eine besondere Form von Beziehung bieten – ohne dabei vergleichbar fordernd zu sein wie etwa ein Lebenspartner. Und wenn die Wahl auf einen Hund fällt, kommt durch die regelmäßigen Spaziergänge gleich noch eine Extraportion Bewegung dazu. Und auch wenn das Haustier sicher nicht der alleinige Schlüssel zur Gefäßgesundheit ist, bietet es doch eine ganz nette Möglichkeit, das persönliche Schlaganfallrisiko zumindest ein bisschen positiv zu beeinflussen.

Möglichkeiten also gibt es einige – welche sind Ihre?

Zum Weiterlesen

  • Ahmadi, M., Laumeier, I., Ihl, T., et al.   A support programme for secondary prevention in patients with transient ischaemic attack and minor stroke (INSPiRE-TMS): an open-label, randomised controlled trial.   Lancet Neurol 2020;19(1):49-60.  (zum Abstract)
  • Pandian JD, Gall SL, Kate MP, Silva GS, Akinyemi RO, Ovbiagele BI, Lavados PM, Gandhi DBC, Thrift AG. Prevention of stroke: a global perspective.  Lancet. 2018 Oct 6;392(10154):1269-1278. doi: 10.1016/S0140-6736(18)31269-8. PMID: 30319114. ( zum Abstract )

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