Eiweißveränderungen im Nervenwasser zeigen Entzündungsprozesse im Gehirn an
Als Biomarker könnten sie künftig Auskunft über entzündliche Ab- läufe bei Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson geben
Published: 15.06.2022
Alzheimer, Parkinson und andere neurodegenerative Erkrankungen ge- hen mit Entzündungsprozessen im Gehirn einher. Tübinger Forschen- den ist es gelungen, eine Gruppe von Eiweißen im Hirnwasser zu identi- fizieren, die Rückschlüsse auf solche Entzündungsvorgänge geben könnten. Als sogenannte Biomarker könnten diese Eiweiße künftig hel- fen, Krankheitsprozesse besser zu verstehen und die Wirkung potenziel- ler Medikamente gegen diese Entzündungen zu testen. Das For- schungsteam um Stephan Käser und Professor Dr. Mathias Jucker am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und der Universität Tübingen hat in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Stefan Lichtenthaler vom Münchner Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Er- krankungen seine Studie nun in der Fachzeitschrift PNAS veröffentlicht.
„Entzündungen im Gehirn sind ein bekanntes Krankheitsmerkmal von Alzheimer und Parkinson“, erklärt Studienleiter Käser. „Dabei spielen so- genannte Mikroglia eine wichtige Rolle.“ Als „Müllschlucker“ schützten diese Zellen normalerweise unser Gehirn vor schädlichen Erregern und Substanzen. Im Fall einer neurodegenerativen Erkrankung seien sie chronisch aktiv und schütteten selbst Stoffe aus. „Es wird vermutet, dass diese Reaktion der Mikroglia, die sich zunächst positiv auf den Krank- heitsverlauf auswirkt, später ins Negative umschlägt“, sagt Käser.
Um Informationen über die dynamischen Entzündungsreaktionen im Ge- hirn zu erhalten, hat das Tübinger Forschungsteam nun nach möglichen molekularen Biomarkern gesucht. Dies sind Substanzen, deren Anwe- senheit oder Konzentrationsänderung im Körper auf einen Krankheits- prozess hinweist. Sie lassen sich etwa in Blut, Urin oder anderen Kör- perflüssigkeiten messen und sind ein wichtiges Instrument der medizini- schen Diagnostik oder um einen Krankheitsverlauf zu beobachten.
In der aktuellen Studie analysierten die Neurobiologen Hirnwasser von Mäusen, die charakteristische Merkmale der Alzheimererkrankung oder von Morbus Parkinson zeigen. „Mittels moderner Messtechnik konnten wir in nur zwei Mikrolitern Hirnwasser, also einem winzigen Tropfen, mehr als 600 Eiweiße gleichzeitig messen,“ berichtet Käser. „Wir fanden heraus, dass die Konzentration von 25 Eiweißen bei beiden Mausmodel- len gegenüber gleichaltrigen, gesunden Tieren verändert war.“
„Bemerkenswert ist, dass der Großteil dieser Eiweiße von Gliazellen stammt oder mit diesen in Verbindung gebracht werden kann,“ führt der Neurobiologe fort. „Praktisch alle sind auch im menschlichen Hirnwasser nachweisbar und zum Teil bei Alzheimerkranken verändert.“ Die verän- derten Konzentrationen der Eiweiße könnten unterschiedliche Aktivie- rungsstadien der Gliazellen widerspiegeln. Sie hätten damit das Poten- tial, als Biomarker zu dienen.
„Die Möglichkeit, die Entzündungsreaktionen im Hirnwasser zu messen, wäre ein großer Fortschritt,“ erklärt Mitautor Jucker. „Das würde uns er- lauben, Erkrankungsstadien besser zu verstehen und auch erste Medi- kamente gegen diese Entzündungen in klinischen Studien zu testen.“ Die neuen Erkenntnisse aus dem Labor fänden damit praktische Anwen- dung in der Patientenversorgung und wären somit ein gutes Beispiel für translationale Hirnforschung.
Neurodegeneration
Neurodegeneration/-/neurodegeneration
Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.
Biomarker
Biomarker/-/biomarker
In der Medizin versteht man unter einem Biomarker eine Substanz, die Hinweise auf den physiologischen Zustand eines Organismus gibt. Biomarker können entweder im Körper selbst entstehen oder chemische Verbindungen beschreiben, die Ärzte dem Körper zuführen, um an ihrem Schicksal bestimmte physiologische Funktionen zu testen. In Bezug auf die Alzheimer-Krankheit sind mehrere Indikatoren als mögliche Biomarker im Gespräch. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Konzentration an löslichem Amyloid-Vorläuferprotein im Blut sowie um die Aktivität des Enzyms, welches das Vorläuferprotein so zerschneidet, dass hieraus das plaquebildende Beta-Amyloid hervorgeht. Oft werden auch krankheitsbezogene Veränderungen, die mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, als Biomarker bezeichnet. So kann man zum Beispiel den Abbau von Gehirngewebe im MRT erkennen.
Mikroglia
Mikroglia/-/microglia
Der kleinste Typ der Gliazellen ist Teil des zellulären Immunsystems und unter anderem zuständig für die Entfernung abgestorbener Neurone. Mikroglia können sich amöbenartig fortbewegen.
Neurodegeneration
Neurodegeneration/-/neurodegeneration
Sammelbegriff für Krankheiten, in deren Verlauf Nervenzellen sukzessive ihre Struktur oder Funktion verlieren, bis sie teilweise sogar daran zugrunde gehen. Vielfach sind falsch gefaltete Proteine der Auslöser – wie etwa bestimmte Formen der Eiweiße Beta-Amyloid und Tau im Falle von Alzheimer. Bei anderen Krankheiten, beispielsweise bei Parkinson oder Chorea Huntington, werden Proteine innerhalb der Neurone nicht richtig abgebaut. In der Folge lagern sich dort toxische Aggregate ab, was zu den jeweiligen Krankheitserscheinungen führt. Während Chorea Huntington eindeutig genetisch bedingt ist, scheint es bei Parkinson und Alzheimer allenfalls bestimmte Ausprägungsformen von Genen zu geben, welche ihre Entstehung begünstigen. Keine dieser neurodegenerativen Erkrankungen kann bisher geheilt werden.
Biomarker
Biomarker/-/biomarker
In der Medizin versteht man unter einem Biomarker eine Substanz, die Hinweise auf den physiologischen Zustand eines Organismus gibt. Biomarker können entweder im Körper selbst entstehen oder chemische Verbindungen beschreiben, die Ärzte dem Körper zuführen, um an ihrem Schicksal bestimmte physiologische Funktionen zu testen. In Bezug auf die Alzheimer-Krankheit sind mehrere Indikatoren als mögliche Biomarker im Gespräch. Hierbei handelt es sich beispielsweise um die Konzentration an löslichem Amyloid-Vorläuferprotein im Blut sowie um die Aktivität des Enzyms, welches das Vorläuferprotein so zerschneidet, dass hieraus das plaquebildende Beta-Amyloid hervorgeht. Oft werden auch krankheitsbezogene Veränderungen, die mit bildgebenden Verfahren nachgewiesen werden, als Biomarker bezeichnet. So kann man zum Beispiel den Abbau von Gehirngewebe im MRT erkennen.
Morbus Parkinson
Morbus Parkinson, Parkinson-Krankheit/Morbus Parkinson/Parkinson`s desease
Eine der häufigsten neurologischen Krankheiten. Bedingt durch das Absterben Dopamin produzierender Neurone in der Substantia nigra kommt es zu einem Ungleichgewicht von Neurotransmittern in den Basalganglien. Das führt zum klassischen Zittern meist der Hände, zu starrer Mimik und einem typischen, trippelnden Gang. Die Parkinson-Krankheit kann nicht geheilt, durch die Gabe von Medikamenten aber gemildert werden. Eine neue, aber nicht einfache Therapiemethode ist der Hirnschrittmacher.
Gliazellen
Gliazellen/-/glia cells
Gliazellen stellen neben den Neuronen die zweite Gruppe große Gruppe von Zellen im Gehirn. Sie wurden lange Zeit als die inaktiven Elemente des Gehirns, als „Nervenkitt“ bezeichnet. Heute weiss man, dass die verschiedenen Typen von Gliazellen (Astrozyten, Oligodendrozyten und Mikrogliazellen) klar definierte Aufgaben im Nervensystem erfüllen. So reagieren sie z. B. auf Krankheitserreger, spielen eine wichtige Rolle bei der Ernährung der Nervenzellen oder isolieren Nervenfasern. Ihr Anteil im Vergleich zu den Neuronen liegt bei etwas über 50 Prozent.
Originalpublikation
Eninger, Mueller et al. (2022): Signatures of glial activity can be detected in the CSF proteome. PNAS, 119 (24) e2119804119 https://doi.org/10.1073/pnas.2119804119
Cerebrospinalflüssigkeit
Cerebrospinalflüssigkeit/Liquor cerebrospinalis/cerebrospinal fluid
Eine klare Flüssigkeit, die das Ventrikelsystem füllt, sowie das Gehirn im Schädel umspült und so vor Stößen schützt. Drei– bis fünfmal täglich werden die 100 bis 160 ml Flüssigkeit erneuert. Bestimmte Krankheiten spiegeln sich in der Zusammensetzung der Cerebrospinalflüssigkeit wieder.