Herz und Gehirn – das dynamische Duo

Grafik: MW

Herz und Gehirn haben überraschend viel gemeinsam. Es lohnt sich daher, sie gemeinsam zu untersuchen. Ob mit High-Tech-Mikroskopen oder mit Hilfe von Mini-Organen als Test-Dummy.

Scientific support: Prof. Dr. Hugo Marti

Published: 01.10.2022

Difficulty: easy

Das Wichtigste in Kürze
  • Herz und Gehirn betrachtet man gemeinhin gerne getrennt. Doch die Denkzentrale und unser Pumporgan haben viel gemeinsam und stehen in regem Austausch.
  • Ist der Herzmuskel geschwächt, leiden auch die grauen Zellen darunter. 
  • Mit den Details des Zusammenspiels von Gehirn und Herz befasst sich ein Exzellenzcluster an der Universitätsmedizin Göttingen.
  • Auf verschiedenen Größenskalen werden Moleküle, aber auch ganze Netzwerke von Herz- und Nervenzellen untersucht.
  • Möglich machen das innovative Bildgebungsverfahren wie die optische Nanoskopie.

Das genaue Zusammenspiel von Hirn- und Herzzellen untersuchen Forscher mit Hilfe von Mini-Organen als Modellen.

„Herzpflaster“ aus Stammzellen

Hinter Herzmuskelschwäche steckt ein Verlust von Herzmuskelzellen. Da ergibt es Sinn, betroffenen Patienten Herzmuskelzellen zu implantieren. An der Universitätsmedizin Göttingen läuft derzeit eine klinische Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit eines neuartigen „Herzpflasters“, das aus Stammzellen hergestellt ist. Es wurde auch in Göttingen entwickelt. Das Herzmuskelgewebe wird auf das erkrankte Herz von Patienten mit Herzmuskelschwäche aufgebracht, um es so zu stärken.  

Herz und Gehirn betrachtet man gemeinhin gerne getrennt. Doch unsere Denkzentrale und unser Pumporgan sind in Wirklichkeit ein echtes Paar, das sich auch nach Jahren noch viel zu sagen hat. Und in guten wie in schlechten Zeiten zusammenhält. Geht es dem einen schlecht, leidet auch der andere: Rund vier Millionen Menschen in Deutschland leiden unter einer Herzinsuffizienz – ihr Herzmuskel ist von einem Herzinfarkt oder einer anderen Erkrankung geschwächt und pumpt weniger Blut durch den Körper. Als Folge ist jedoch nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit eingeschränkt, sondern oft auch die geistige: Herzprobleme können die kognitiven Funktionen verschlechtern und das Risiko für eine Demenz erhöhen. 

Bei Menschen mit Herzinsuffizienz finden sich strukturelle Veränderungen im Gehirn. So ist etwa der Hippocampus geschrumpft, ohne den beim Thema Lernen und Gedächtnis nichts geht. Der Neurowissenschaftler  André Fischer  von der Uni Göttingen und dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) interessiert sich für die dahinterliegenden Mechanismen.  In einer Studie  hat er mit Kollegen Mäuse untersucht, die eigentlich „nur“ an einer Herzschwäche litten. Doch die betroffenen Nager lernten in der Folge auch schlechter als Kontrollmäuse. „Wir konnten zeigen, dass sich bei diesen Tieren in Folge von Herzproblemen eine Beeinträchtigung der Genaktivität im Hippocampus entwickelte“, sagt Fischer. „Die DNA ihrer Nervenzellen war enger gewickelt, dadurch lassen sich die Gene schlechter ablesen."

Grund für die enge Wicklung sind chemische Veränderungen an den Histonen, jenen Eiweißen, die für die Verpackung der DNA sorgen. Verschiedene Gene, die für Kognition und den Hippocampus von Bedeutung sind, waren daher weniger aktiv als bei gesunden Tieren. Fischer und seine Kollegen konnten schon früher zeigen, dass Menschen mit Alzheimer solche epigenetischen Veränderungen in Nervenzellen und Gliazellen aufweisen. „Wir gehen davon aus, dass der verringerte Blutfluss im Gehirn im Zuge der Herzinsuffizienz zu solchen epigenetischen Veränderungen führt.“ Die Forscher haben auch einen Wirkstoff bei den Mäusen getestet, der auf die Histone einwirkt und damit letztlich auf die Genaktivität. „Tatsächlich verbesserten sich die Lernleistungen der Tiere wieder.“

Revolution in der Bildgebung

Mit dem Zusammenspiel von Gehirn und Herz befasst sich der  Exzellenzcluster „Multiscale Bioimaging: Von molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ .  Dabei geht es darum, die Funktion und Struktur von erregbaren Herz- und Nervenzellen zu verstehen. „Und dies wollen wir mit Bildgebung und anderen Methoden auf den verschiedenen Ebenen untersuchen“, sagt der Mediziner und Neurowissenschaftler  Tobias Moser , Direktor des Instituts für Auditorische Neurowissenschaften an der Universitätsmedizin Göttingen. „Von den kleinsten Einheiten, den Molekülen, bis hin zu Netzwerken von erregbaren Zellen.“ Dabei untersuchen die Forscher molekulare Maschinen wie Ionenkanäle in der Zellmembran sowohl einzeln als auch im Zusammenspiel untereinander.

Die Untersuchung auf verschiedenen Größenskalen ist erst seit kurzem aufgrund enormer technischer Fortschritte möglich. Ein solcher Durchbruch ist die optische Nanoskopie, die in Göttingen durch den Chemienobelpreisträger  Stefan Hell  entwickelt wurde. „Uns ist es damit etwa gelungen, die Signalübertragung an Synapsen sichtbar zu machen und die lokale Calziumkonzentration an Synapsen zu messen“, sagt Moser. Bislang konnten diese Signale nicht direkt vermessen werden, weil ihre Ausdehnung unterhalb der Auflösungsgrenze konventioneller Lichtmikroskopie liegt. Ebenfalls wichtig für Moser und seine Kollegen ist die Röntgen-Bildgebung, die in Göttingen insbesondere von dem Experimentalphysiker  Tim Salditt  und seinem Team entwickelt wird. Sie ist für Moser das Paradebeispiel für Bildgebung auf verschiedenen Größenskalen. Mit ihr kann man sehr kleine Objekte auflösen aber auch ganze Organe darstellen. „Die Röntgenmikroskopie ermöglicht uns, parallel eine Vielzahl von Zellen in Herz- und Nervengewebe, aber auch auf Zell- und Netzwerkebene darzustellen.“

Von diesem Forschungsansatz versprechen sich die Göttinger Erkenntnisse, die bei isolierter Betrachtung des Herzens oder von Nervengewebe nicht möglich wären. Und das macht Sinn. Denn in Herz- und Nervenzellen finden sich die gleichen Ionenkanäle, die über die Spannung von Zellmembranen gesteuert werden. So beispielsweise in Haarsinneszellen im Innenohr.

Hören in unserem Nervensystem entsteht, wenn diese Haarsinneszellen Schall in neuronale Signale umwandeln, die an das Gehirn übertragen werden. Die Haarsinneszellen verfügen über etwa ein Dutzend Synapsen mit den Hörnervenfasern. In Haarsinneszellen sind nun die spannungsgesteuerten Ionenkanäle letztlich die Kanäle, die Calzium zur Verfügung stellen, damit der wichtige Botenstoff Glutamat freigesetzt wird. „Wenn solche Calziumkanäle durch einen Defekt ausfallen, kann die akustische Information nicht vom Ohr ins Gehirn weitervermittelt werden und es kommt zur Taubheit“, sagt Moser. „In Herzmuskelzellen sind die Kanäle wiederum wichtig für die Erregungsausbreitung.“ Fallen sie durch einen Defekt im Herzen aus, kommt es zu einer Herzrhythmusstörung. 

Versteckte Gemeinsamkeiten

Doch es gibt noch andere Parallelen zwischen Herz- und Nervenzellen. Neben den spannungsgesteuerten Ionenkanälen in der Zellmembran finden sich innerhalb von Herz- und Nervenzellen auch calziumgesteuerte calziumkanäle. Der Mediziner Stephan Lehnart von der Universitätsmedizin Göttingen  konnte zeigen : Wenn Calzium von außen in Herzzellen einströmt, kommt es zu einem richtigen Feuerwerk. Weil sich dann auch die calziumgesteuerten Kanäle öffnen und Calzium im Inneren der Zelle freisetzen. Diese Signalverstärkung braucht die Herzmuskelzelle auch, damit das Pumporgan sich kontrahieren kann. „Innerhalb des Exzellenzclusters schauen wir nun gemeinsam auch die Rolle calziumgesteuerter Calziumkanäle in Haarsinneszellen an“, sagt Moser.

Mini-Hirn als Test-Dummie

Wie genau Herzzellen und Nervenzellen miteinander zusammenarbeiten, untersuchen Wissenschaftler um Maria-Patapia Zafeiriou von der Universitätsmedizin Göttingen an so genannten Organoiden. Sie entwickeln dafür organähnliche Strukturen im Miniformat, wie „Mini-Hirne“, die als Modell dienen. Um sie herzustellen, werden Körperzellen von Menschen in einen quasi embryonalen Zustand versetzt. In diesem Zustand können sie sich in fast jedes Gewebe ausdifferenzieren, beispielsweise in Nervengewebe. Solche Hirnorganoide gibt es schon länger. Den Forschern gelang es aber, ziemlich komplexe „Mini-Hirne“ mit einer Größe von 5 bis 7 Millimeter  zu kreieren , – mit miteinander verbundenen erregenden und hemmenden Neuronen und mit unterstützenden Hirnzellen wie Astrozyten. Mit Hilfe von Zafeirious „Mini-Hirnen“ lässt sich etwa der Verlust von Lernfähigkeit und Gedächtnis bei neurodegenerativen Erkrankungen simulieren und untersuchen. Und man kann Medikamente an dem Nervengewebe testen.  

Doch damit nicht genug. Die Forscher interessiert eben besonders das Zusammenspiel von Herz und Gehirn. „Wir haben unser Gehirn-Modell daher mit einem bereits etablierten Herzmuskelmodell  verschmelzen lassen “, sagt Zafeiriou. „Nach einigen Wochen in der Kultur konnten wir neuronale Axone sehen, die sich mit den Herzmuskelzellen vernetzten.“ Mit der Unterstützung des Exzellenzclusters haben die Forscher dann Nervenzellen hergestellt, die sich durch Licht stimulieren lassen. Reizungen an der Schnittstelle zwischen Gehirn und Herz erhöhten in diesem Modell die Schlagfrequenz des Herzmuskels. „Das liefert den Beweis für eine funktionelle Interaktion zwischen bestimmten Nervenzellen und Herzmuskelzellen.“

Es wird also immer klarer: Herz und Gehirn sind ein trautes Paar. In guten wie in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit.     

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