Lernen auf Stecknadelkopfgröße
Ihr Leben ist kurz und das Gehirn winzig: Dennoch haben auch Fruchtfliegen ausreichend Grips, um zu lernen. Und auch bei ihnen lässt diese Fähigkeit im Alter nach.
Scientific support: Prof. Dr. Björn Brembs
Published: 01.12.2022
Difficulty: easy
- Trotz aller Unterschiede: Menschen und Fliegen stehen bei Futtersuche, Fortpflanzung und Gefahren vor ähnlichen Herausforderungen.
- Das Geruchssystem von Drosophila ähnelt in seiner allgemeinen anatomischen Organisation dem von Wirbeltieren, hat aber erheblich weniger Zellen.
- Über Neurone im Pilzköper lernen Fruchtfliegen Gerüche mit negativen oder positiven Reizen zu verbinden.
- Es gibt auch Konditionierungen zweiter Ordnung, wenn bereits konditionierte Gerüche mit einem weiteren Geruch verknüpft werden.
- Fruchtfliegen können auch ein Erleichterungs-Gedächtnis entwickeln, wenn beispielsweise ein Duft erst auftaucht, wenn ein Schmerz wieder abklingt.
- Im Alter gibt es offenbar im Gehirn auch Versuche, die nachlassende Erinnerung zu kompensieren.
Der Alltag von Menschen und der Fruchtfliege Drosophila melanogaster unterscheidet sich grundlegend. Wir gehen arbeiten, treffen in der Freizeit Freunde, treiben Sport, gehen auf Reisen und vieles mehr. Das Leben der Fruchtfliege ist da überschaubarer. Bevorzugt macht sie es sich in überreifem Obst gemütlich, um es als Futterquelle oder zur Eiablage zu nutzen. Gleichwohl stehen Mensch und Fliege vor ähnlichen Herausforderungen: Futtersuche, Fortpflanzung und Gefahren fordern das passende Verhalten und schnelle Entscheidungen. Dazu bedarf es eines komplexen Nervensystems, dessen Bausteine und Grundprozesse bei der Fliege und bei Säugetieren überraschend ähnlich sind.
Für die Fruchtfliege kann es lebenswichtig sein, zwischen Düften zu unterscheiden, die Nahrung oder Gefahr verheißen. Das Geruchssystem von Drosophila ähnelt in seiner allgemeinen anatomischen Organisation dem von Wirbeltieren, hat aber erheblich weniger Zellen. Ein ideales Modellsystem also, um die Geruchsverarbeitung im Gehirn zu untersuchen.
„Wenn etwas gelernt wird, verändert sich die Effektivität, mit der Synapsen Signale übertragen“, sagt der Neurobiologe und Genetiker André Fiala von der Uni Göttingen. „Sie wird stärker oder schwächer.“ Wenn ein Reiz verarbeitet wird, verändern sich dabei die Synapsen von ganzen Netzwerken von Neuronen. Für Forscher wie André Fiala ist es eine Herausforderung, sehr viele Synapsen gleichzeitig unter die Lupe zu nehmen. Bei größeren Tieren sind bei der Verarbeitung eines Geruchs Millionen von Nervenzellen im Spiel. Diese gleichzeitig zu beobachten, ist fast unmöglich. „Daher untersuchen wir die Fruchtfliege, die nur über vergleichsweise wenige Neuronen verfügt“, sagt Fiala.
Fiala und seine Kollegen interessieren sich für das Phänomen der Konditionierung – wenn die Fruchtfliege etwa lernt, einen Geruch mit etwas Positivem oder Negativem zu verbinden. Die Duft-Konditionierung findet im Fliegenhirn im so genannten Pilzkörper statt. Sein Aufbau und seine Verschaltung ähneln höheren Hirnzentren bei Säugetieren. Düfte spiegeln sich in den Aktivitätsmustern von Kenyon-Zellen im Pilzkörper wider. Genau wie im Säugetiergehirn werden durch positive oder negative Reize Neurone aktiv, die den Botenstoff Dopamin ausschütten und damit Belohnung oder Bestrafung signalisieren. Das Zusammentreffen zwischen Mustern von Duftreizen und der Freisetzung von Dopamin führt dazu, dass sich Synapsen der Kenyon-Zellen verändern.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Dopamin
Dopamin/-/dopamine
Dopamin ist ein wichtiger Botenstoff des zentralen Nervensystems, der in die Gruppe der Catecholamine gehört. Es spielt eine Rolle bei Motorik, Motivation, Emotion und kognitiven Prozessen. Störungen in der Funktion dieses Transmitters spielen eine Rolle bei vielen Erkrankungen des Gehirns, wie Schizophrenie, Depression, Parkinsonsche Krankheit, oder Substanzabhängigkeit.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Zucker oder Elektroschock
Als positiven Reiz – als Belohnung – geben die Forscher den Tieren Zucker. Als negativer Reiz – die Bestrafung – dienen kleine, aber für die Tiere unangenehme Elektroschocks. Fiala selbst hat herausgefunden: Bei bestimmten Lernvorgängen laufen aufeinander abgestimmte Aktivitätsmuster der Synapsen auseinander; sie schwingen gewissermaßen nicht mehr im Gleichtakt. Ein nachgeschaltetes Neuron, das die Aktivität dieser Synapsen ausliest, erhält damit einen schwächeren Eingang. „Wenn ein Duft mit einem negativen Reiz assoziiert wird, werden Synapsen schwächer, die ein bestimmtes Neuron ansteuern“, erklärt Fiala. Normalerweise ist dies ein Neuron, das eine Hinwendung zum Duft auslöst. Da dieses Neuron nun schwächer angesteuert wird, wenden sich die Tiere dem „negativen“ Duft also weniger zu. Umgekehrt schwächen sich beim Belohnungslernen solche Synapsen ab, die auf Neurone verschalten, welche Vermeidungsverhalten auslösen. Die Tiere wenden sich in diesem Fall dem Duft verstärkt zu.
Haben die Fliegen erst einmal gelernt, einen bestimmten Duft mit einem Elektroschock oder Zuckerwasser zu verbinden, können sie diesen konditionierten Duft auch mit einem zweiten Duft verknüpfen. „Bei diesen Konditionierungen zweiter Ordnung werden komplexe Rückkopplungsschleifen im Fliegengehirn aktiviert“, sagt Fiala. „Anlässlich des neuen Dufts wird damit nicht nur der alte Duft assoziiert, sondern auch Belohnung oder Bestrafung.“
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Schmerz lass nach
Keine Frage: Eine Bestrafung in Form von Schmerz infolge eines Elektroschocks ist natürlich erst einmal eine unangenehme Sache. „Aber es kann schön sein, wenn der Schmerz nachlässt“, sagt Bertram Gerber vom Leibniz-Institut für Neurobiologie. Das Umgekehrte gilt aber auch: „Es ist schön eine Belohnung zu bekommen, aber es kann sehr frustrierend sein, wenn es damit zu Ende geht.“ Was genau eine Fliege angesichts von Belohnungen und Bestrafungen lernt, ist dabei eine Frage des Timings. Versetzen wir uns einmal in die Fliege hinein. „Ein Reiz wie etwa ein Duft kommt nur als Ursache einer Bestrafung in Frage, wenn er vor der Bestrafung auftritt“, so Gerber. „Wenn man den Tieren zum Beispiel einen Duft präsentiert und sie danach einen Elektroschock erfahren, deuten die Tiere den Geruch negativ, als Ursache des Schmerzreizes.“ Anders aber wenn die Tiere zuerst den Schmerzreiz abbekommen und man ihnen den Duft erst präsentiert, wenn der Schmerz abklingt. „Dann schließen sie den Duft als Schmerzursache aus und deuten ihn positiv.“ In diesem Fall spricht man von Relief-Lernen: Die Tiere verbinden den Duft mit der „Erleichterung“ eines nachlassenden Schmerzes. Ob die Tiere den Duft positiv oder negativ deuten, erkennen die Forscher dabei schlicht daran, ob die Tiere vor dem Duft flüchten oder zu ihm hinstreben.
Bestrafungen und Belohnungen werden wie erwähnt über Dopamin-ausschüttende Neurone vermittelt. Gerber und seine Kollegen haben sich nun gefragt , ob beispielsweise ein und dasselbe Bestrafungsneuron sowohl das übliche negative Bestrafungs-Gedächtnis als auch das positive Erleichterungs-Gedächtnis hervorrufen kann. Die Antwort: Es kann. „Präsentiert man einen Duft und aktiviert dann künstlich das von uns so getaufte Neuron DAN-f1, bekommt man ein negatives Bestrafungs-Gedächtnis.“ Kehrt man die Reihenfolge um und aktiviert das Neuron, bevor man den Duft präsentiert, bekommt man ein Erleichterungs-Gedächtnis.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
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Lernen im betagten Alter
Timing spielt aber beim Lernen noch eine andere entscheidende Rolle. Denn es macht einen großen Unterschied, in welchem Alter ein Lebewesen lernt. Bei Fruchtfliegen ist das Leben nach zwei Wochen bis zwei Monaten schon wieder vorbei. Und mit zunehmendem Alter können sie immer weniger Erinnerungen bilden. Die Gedächtnisleistung lässt schon nach 20 bis 30 Tagen nach. Der Genetiker Stephan Sigrist von der FU Berlin untersucht mit Kollegen, wie der Alterungsprozess ursächlich mit den Mechanismen der Erinnerungsbildung verknüpft ist. Das ist gar nicht so einfach. Denn im Alter verändert sich sehr viel im Gehirn. „Und nicht alles ist gleich verantwortlich für eine abnehmende Leistung der geistigen Fähigkeiten“, so Sigrist. „Einige Prozesse könnten vielmehr der Versuch des Gehirns sein, dem kognitiven Verfall gegenzusteuern.“
Sigrist und seine Kollegen interessieren sich besonders für die Ausgangssynapsen des Pilzkörpers. Sie übertragen die Ausgangssignale der Kenyon-Zellen. Die Ausgangssynapsen sind wiederum mit Neuronen verknüpft, die vermutlich die Verrechnungsleistung des Pilzkörpers direkt an die prämotorischen Zentren senden, um Verhalten wie Flucht oder Hinwendung auszulösen.
Sigrist und Kollegen konnten zeigen, dass sich im Zuge des Alterns präsynaptische Strukturen vergrößern, Strukturen also, die Signale an nachgeschaltete Neurone senden. Diese Plastizität findet sich sowohl an den Ausgangssynapsen der Kenyon-Zellen im Pilzkörper als auch insgesamt in weiten Teilen des Fliegengehirns. „Der Umbau der Präsynapsen verändert sehr wahrscheinlich die Kommunikation zwischen den Nervenzellen“, so Sigrist. Ursprünglich hatten er und seine Kollegen gedacht, dieser Umbau wäre verantwortlich dafür, dass im Alter weniger Erinnerungsspuren angelegt werden. „Mittlerweile gehen wir davon aus, dass der Umbau im Gegenteil die Bildung von Gedächtnisspuren unterstützt.“
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Plastizität
Plastizität/-/neuroplasticity
Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.
Nachlassende Gedächtnisleistungen ausgleichen
Ihre Vermutung stützen die Forscher auf Fruchtfliegen, die genetisch so verändert wurden, dass sie nicht mehr in der Lage sind, die Plastizität der Präsynapse anzuschalten. In der Folge fiel es ihnen schwer, Erinnerungsspuren anzulegen. „Reguliert man genetisch aber bei diesen Tieren ein bestimmtes Protein namens Bruchpilot hoch, das die Vergrößerung der Präsynapse organisiert, fangen diese Tiere wieder sehr effektiv an Erinnerungen zu bilden.“ Die Hypothese von Sigrist: „Diese Plastizität der Synapse ist ein Hilfsmittel des alternden Gehirns, um die Ausbildung von neuen Erinnerungen wieder auf den Weg zu bringen. Es dient der Kompensation von nachlassenden Gedächtnisleistungen.“ Ob es so etwas auch beim Menschen gibt? Angesichts der vielen Gemeinsamkeiten wäre dies zumindest nicht auszuschließen – und eine weitere spannende Spur, der die Gedächtnisforscher folgen könnten.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Plastizität
Plastizität/-/neuroplasticity
Der Begriff beschreibt die Fähigkeit von Synapsen, Nervenzellen und ganzen Hirnarealen, sich abhängig vom Grad ihrer Nutzung zu verändern. Mit synaptischer Plastizität ist die Eigenschaft von Synapsen gemeint, ihre Erregbarkeit auf die Intensität der Reize einzustellen, die sie erreichen. Daneben unterliegen auch Größe und Vernetzungsgrad unterschiedlicher Hirnbereiche einem Wandel, der von ihrer jeweiligen Aktivität abhängt. Dieses Phänomen bezeichnen Neurowissenschaftler als corticale Plastizität.
Synapse
Synapse/-/synapse
Eine Synapse ist eine Verbindung zwischen zwei Neuronen und dient deren Kommunikation. Sie besteht aus einem präsynaptischen Bereich – dem Endknöpfchen des Senderneurons – und einem postsynaptischen Bereich – dem Bereich des Empfängerneurons mit seinen Rezeptoren. Dazwischen liegt der sogenannte synaptische Spalt.
Zum Weiterlesen
- Bilz F et al.: Visualization of a Distributed Synaptic Memory Code in the Drosophila Brain. Neuron. 2020;106(6):963-976.e4 ( zum Volltext ). doi:10.1016/j.neuron.2020.03.010.
- Weiglein A, Thoener J, Feldbruegge I, et al. Aversive teaching signals from individual dopamine neurons in larval Drosophila show qualitative differences in their temporal "fingerprint". J Comp Neurol. 2021;529(7):1553-1570 ( zum Abstract ). doi:10.1002/cne.25037.