Unsere Muttersprache prägt die Verschaltung im Gehirn
WissenschaftlerInnen des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig haben Beweise dafür gefunden, dass die Muttersprache, die wir sprechen, die Verschaltung in unserem Gehirn prägt und damit unser Denken beeinflussen könnte. Sie schauten mithilfe der Magnetresonanztomographie tief in die Gehirne von deutschen und arabischen Muttersprachlern und entdeckten Unterschiede in der Verschaltung der Sprachregionen im Gehirn.
Published: 16.03.2023
Xuehu Wei, Doktorandin im Team um Alfred Anwander und Angela Friederici, verglich die Gehirnscans von 94 Muttersprachlern zweier sehr unterschiedlicher Sprachen und zeigte, dass die Sprache, mit der wir aufwachsen, die Stärke der Verdrahtung im Gehirn beeinflusst. Zwei Gruppen von deutschen und arabischen Muttersprachlern wurden in einem Magnetresonanztomographen (MRT) gescannt. Die hochauflösenden Bilder zeigen nicht nur die Anatomie des Gehirns, sondern ermöglichen auch die Berechnung der Verdrahtung zwischen den Hirnarealen mit einer Technik namens ‚diffusionsgewichtete Bildgebung‘. Die Daten zeigten, dass sich die axonalen Verbindungen der weißen Substanz des Sprachnetzwerks an die Anforderungen und Schwierigkeiten der Muttersprache anpassen.
"Arabische Muttersprachler zeigten eine stärkere Vernetzung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte als deutsche Muttersprachler", erklärt Alfred Anwander, Letztautor der Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift NeuroImage veröffentlicht wurde. "Diese Verstärkung wurde auch zwischen semantischen Sprachregionen festgestellt und könnte mit der relativ komplexen semantischen und phonologischen Verarbeitung im Arabischen zusammenhängen." Wie die ForscherInnen feststellten, zeigten deutsche Muttersprachler eine stärkere Konnektivität im Sprachnetzwerk der linken Hemisphäre. Sie argumentieren, dass ihre Ergebnisse mit der komplexen syntaktischen Verarbeitung im Deutschen zusammenhängen könnten, die durch die freie Wortstellung und den größeren Abstand zwischen den abhängigen Satzelementen bedingt ist.
"Die Konnektivität des Gehirns wird in der Kindheit durch das Lernen und die Umwelt beeinflusst, was sich auf die kognitive Verarbeitung, also das Denken, im erwachsenen Gehirn auswirkt. Unsere Studie liefert neue Erkenntnisse darüber, wie sich das Gehirn an kognitive Anforderungen anpasst – unser strukturelles Netzwerk der Sprache wird also durch die Muttersprache geprägt.", fasst Anwander zusammen. Diese Studie sei eine der ersten, die klare Unterschiede zwischen den Gehirnen von Menschen dokumentiert, die mit verschiedenen Muttersprachen aufgewachsen sind. Damit könnte sie WissenschaftlerInnen einen Weg zum Verständnis kulturübergreifender Verarbeitungsunterschiede im Gehirn bieten. In einer nächsten Studie wird das Forscherteam die langfristigen strukturellen Veränderungen in den Gehirnen arabischsprachiger Erwachsener analysieren, während sie sechs Monate lang Deutsch lernen.
Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie/-/magnetic resonance imaging
Ein bildgebendes Verfahren, das Mediziner zur Diagnose von Fehlbildungen in unterschiedlichen Geweben oder Organen des Körpers einsetzen. Die Methode wird umgangssprachlich auch Kernspin genannt. Sie beruht darauf, dass die Kerne mancher Atome einen Eigendrehimpuls besitzen, der im Magnetfeld seine Richtung ändern kann. Diese Eigenschaft trifft unter anderem auf Wasserstoff zu. Deshalb können Gewebe, die viel Wasser enthalten, besonders gut dargestellt werden. Abkürzung: MRT.
Hemisphäre
Hemisphäre/-/hemisphere
Großhirn und Kleinhirn bestehen aus je zwei Hälften – der rechten und der linken Hemisphäre. Im Großhirn sind sie verbunden durch drei Bahnen (Kommissuren). Die größte Kommissur ist der Balken, das Corpus callosum.
Originalpublikation
Xuehu Wei, Helyne Adamson, Matthias Schwendemann, Tomás Goucha, Angela D. Friederici,
Alfred Anwander; „Native language differences in the structural connectome of the human
brain“; NeuroImage; Source