Wenn Tauben träumen
Träumen galt lange Zeit als etwas, das den Schlaf des Menschen auszeichnet. Neue Erkenntnisse deuten jedoch darauf hin, dass Tauben im Schlaf möglicherweise Flugszenen erleben. Wissenschaftler*innen der Ruhr-Universität Bochum und des Max-Planck-Instituts für biologische Intelligenz untersuchten mithilfe der funktionellen Kernspintomographie die Aktivierungsmuster im Gehirn schlafender Tauben. Die Studie zeigte, dass das Taubengehirn während des REM-Schlafs größtenteils sehr aktiv ist. Dieser wachähnliche Zustand könnte jedoch zur Folge haben, dass das Gehirn nur unzureichend von schädlichen Substanzen gereinigt wird.
Published: 05.06.2023
Während wir schlafen, durchläuft unser Gehirn eine Reihe komplexer Prozesse, die dafür sorgen, dass wir erholt aufwachen. Beim Menschen gehen die unterschiedlichen Schlafphasen, der REM-Schlaf (Rapid Eye Movement) und der Non-REM-Schlaf, mit Veränderungen in der Physiologie, der Gehirnaktivität und des Bewusstseins einher. Während des REM-Schlafs ist unser Gehirn besonders aktiv und wir erleben lebhafte, bizarre oder emotionale Träume. In der Non-REM-Schlafphase ist das Gehirn metabolisch weniger aktiv und entsorgt Abfallprodukte. Dazu spült es die Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die miteinander verbundenen Hirnkammern, welche die Gehirnstrukturen umgeben, und anschließend in das Gehirn. Dieser Prozess unterstützt den Körper vermutlich dabei, schädliche Proteinablagerungen, die unter anderem an der Entstehung der Alzheimer-Erkrankung beteiligt sind, aus dem Gehirn zu spülen.
REM-Schlaf
REM-Schlaf/-/REM sleep
„REM“ steht für „rapid eye movement“ – und rasche Augenbewegungen sind auch charakteristisch für den REM-Schlaf. Im Laufe einer Nacht durchleben wir mehrere solcher REM-Phasen, die von non-REM-Phasen unterbrochen werden. REM-Schlaf zeichnet sich durch schnelle Augenbewegungen aus, niedrig-amplitudige Hirnaktivität gemischter Frequenzen sowie einem reduzierten Muskeltonus. Puls und Atemfrequenz sind dagegen erhöht. Zudem träumen wir während dieser Phasen besonders bildhaft und intensiv. Menschen, die aus dem REM-Schlaf geweckt werden, berichten häufig bildhafte, konkrete und auch emotionale Träume, während nach dem Wecken aus dem non-REM-Schlaf eher abstraktere und an Gedanken erinnernde Träume berichtet werden.
Was geht im Gehirn einer schlafenden Taube vor?
Ob ähnliche Vorgänge auch bei Vögeln ablaufen, blieb bisher ungeklärt. „Der letzte gemeinsame evolutionäre Vorfahre von Vögeln und Säugetieren lebte vor etwa 315 Millionen Jahren und stammt somit aus der Frühzeit der Landwirbeltiere“, sagt Prof. Dr. Onur Güntürkün, Leiter der Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum. „Dennoch ähneln die Schlafmuster von Vögeln denen der Säugetiere auf erstaunliche Weise, und zwar sowohl in den REM- als auch in den Non-REM-Phasen.“
Um herauszufinden, was genau vor sich geht wenn Vögel schlafen, haben die Forschenden die Schlaf- und Wachzustände von 15 Tauben mit Infrarot-Videokameras und funktioneller Kernspintomographie (fMRT) beobachtet und aufgezeichnet. Die Vögel waren speziell darauf trainiert, unter diesen experimentellen Bedingungen zu schlafen.
Die Videoaufzeichnungen gaben Aufschluss über die jeweilige Schlafphase der Vögel. „Wir konnten beobachten, ob nur ein oder beide Augen im Schlaf geöffnet oder geschlossen waren. Durch die transparenten Augenlider der Budapest-Tauben konnten wir auch bei geschlossenem Lid die Augenbewegungen und Veränderungen der Pupillengröße messen“, erklärt Mehdi Behroozi aus dem Bochumer Team. Gleichzeitig lieferten die fMRT-Aufzeichnungen Informationen über die Hirnaktivierung und die Bewegung der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die Hirnkammern.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Der Traum vom Fliegen
„Während der REM-Phasen waren vor allem Gehirnbereiche aktiv, die für die Verarbeitung visueller Reize zuständig sind, darunter auch Areale, die analysieren, wie sich die Umgebung einer Taube während des Flugs bewegt“, sagt Mehdi Behroozi. Das Team maß auch Gehirnaktivität in Bereichen, die Nervensignale aus dem Körper und von den Flügeln verarbeiten. „Aufgrund dieser Beobachtungen vermuten wir, dass Vögel wie wir Menschen in REM-Phasen träumen, vielleicht sogar Flugsequenzen durchleben“, fügt Mehdi Behroozi hinzu.
Außerdem stellten die Wissenschaftler*innen fest, dass während der REM-Phasen die Amygdala aktiviert wurde, eine Gehirnstruktur, die bei emotionalen Prozessen eine wichtige Rolle spielt. „Das deutet darauf hin, dass auch Vögel in ihren Träumen Gefühle empfinden, sofern sie etwas erleben, das unseren menschlichen Träumen ähnelt“, sagt Gianina Ungurean aus der Forschungsgruppe Vogelschlaf am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz. Diese Hypothese wird unterstützt durch die Beobachtung, dass sich im REM-Schlaf die Pupillen der Vögel schnell zusammenziehen, so wie es im Wachzustand zum Beispiel bei der Balz oder bei Aggression der Fall ist, wie Gianina Ungurean und ihre Kolleg*innen kürzlich in einer anderen Studie nachgewiesen haben.
Amygdala
Amygdala/Corpus amygdaloideum/amygdala
Ein wichtiges Kerngebiet im Temporallappen, welches mit Emotionen in Verbindung gebracht wird: es bewertet den emotionalen Gehalt einer Situation und reagiert besonders auf Bedrohung. In diesem Zusammenhang wird sie auch durch Schmerzreize aktiviert und spielt eine wichtige Rolle in der emotionalen Bewertung sensorischer Reize. Die Amygdala – zu Deutsch Mandelkern – wird zum limbischen System gezählt.
Emotionen
Emotionen/-/emotions
Unter „Emotionen“ verstehen Neurowissenschaftler psychische Prozesse, die durch äußere Reize ausgelöst werden und eine Handlungsbereitschaft zur Folge haben. Emotionen entstehen im limbischen System, einem stammesgeschichtlich alten Teil des Gehirns. Der Psychologe Paul Ekman hat sechs kulturübergreifende Basisemotionen definiert, die sich in charakteristischen Gesichtsausdrücken widerspiegeln: Freude, Ärger, Angst, Überraschung, Trauer und Ekel.
Intelligenz
Intelligenz/-/intelligence
Sammelbegriff für die kognitive Leistungsfähigkeit des Menschen. Dem britischen Psychologen Charles Spearman zufolge sind kognitive Leistungen, die Menschen auf unterschiedlichen Gebieten erbringen, mit einem Generalfaktor (g-Faktor) der Intelligenz korreliert. Demnach lasse sich die Intelligenz durch einen einzigen Wert ausdrücken. Hierzu hat u.a. der US-Amerikaner Howard Gardner ein Gegenkonzept entwickelt, die „Theorie der multiplen Intelligenzen“. Dieser Theorie zufolge entfaltet sich die Intelligenz unabhängig voneinander auf folgenden acht Gebieten: sprachlich-linguistisch, logisch-mathematisch, musikalisch-rhythmisch, bildlich-räumlich, körperlich-kinästhetisch, naturalistisch, intrapersonal und interpersonal.
REM-Schlaf
REM-Schlaf/-/REM sleep
„REM“ steht für „rapid eye movement“ – und rasche Augenbewegungen sind auch charakteristisch für den REM-Schlaf. Im Laufe einer Nacht durchleben wir mehrere solcher REM-Phasen, die von non-REM-Phasen unterbrochen werden. REM-Schlaf zeichnet sich durch schnelle Augenbewegungen aus, niedrig-amplitudige Hirnaktivität gemischter Frequenzen sowie einem reduzierten Muskeltonus. Puls und Atemfrequenz sind dagegen erhöht. Zudem träumen wir während dieser Phasen besonders bildhaft und intensiv. Menschen, die aus dem REM-Schlaf geweckt werden, berichten häufig bildhafte, konkrete und auch emotionale Träume, während nach dem Wecken aus dem non-REM-Schlaf eher abstraktere und an Gedanken erinnernde Träume berichtet werden.
Aufräumen am Ende des Tages
Wie beim Menschen steigt auch bei Tauben der Durchfluss der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit durch die Hirnkammern während des Non-REM-Schlafs an. Wie die Forschenden nun erstmals beobachten konnten, nimmt die Bewegung der Flüssigkeit während des REM-Schlafs jedoch drastisch ab.
„Die gesteigerte Hirnaktivität im REM-Schlaf ist mit einem erhöhten Blutfluss zum Gehirn verknüpft. Wir vermuten, dass dieser den Fluss der Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit aus den Hirnkammern ins Gehirn behindern könnte“, erklärt Niels Rattenborg, Leiter der Forschungsgruppe Vogelschlaf. „Das deutet darauf hin, dass der REM-Schlaf und die damit verbundenen Prozesse auf Kosten des Abtransports von Abfallprodukten aus dem Gehirn gehen könnten."
Der REM-Schlaf könnte jedoch auf unerwartete Weise wiederum auch zur Abfallbeseitigung beitragen: „Zu Beginn des REM-Schlafs vergrößert sich der Durchmesser der Blutgefäße durch den steigenden Blutzufluss. Dadurch könnte Gehirn-Rückenmarksflüssigkeit, die während des Non-REM-Schlafs in die Hirnkammern geflossen ist, ins Hirngewebe strömen und dafür sorgen, dass die mit Abfallstoffen belasteten Flüssigkeiten abfließen“, erläutert Gianina Ungurean.
Die Wissenschaftler*innen vermuten, dass die Reinigung des Gehirns im Schlaf für Vögel von besonders großer Bedeutung sein könnte. Da Vogelgehirne dichter mit Nervenzellen gepackt sind als die Gehirne von Säugetieren, sind möglicherweise effizientere – oder häufigere – Spülzyklen erforderlich, um schädliche Rückstände abzutransportieren. Vögel erleben während des Schlafs häufigere und kürzere REM-Phasen und der damit verbundene häufige Anstieg des Blutstroms könnte dabei helfen, ihre dichten Gehirne von schädlichen Abfallprodukten freizuhalten.
REM-Schlaf
REM-Schlaf/-/REM sleep
„REM“ steht für „rapid eye movement“ – und rasche Augenbewegungen sind auch charakteristisch für den REM-Schlaf. Im Laufe einer Nacht durchleben wir mehrere solcher REM-Phasen, die von non-REM-Phasen unterbrochen werden. REM-Schlaf zeichnet sich durch schnelle Augenbewegungen aus, niedrig-amplitudige Hirnaktivität gemischter Frequenzen sowie einem reduzierten Muskeltonus. Puls und Atemfrequenz sind dagegen erhöht. Zudem träumen wir während dieser Phasen besonders bildhaft und intensiv. Menschen, die aus dem REM-Schlaf geweckt werden, berichten häufig bildhafte, konkrete und auch emotionale Träume, während nach dem Wecken aus dem non-REM-Schlaf eher abstraktere und an Gedanken erinnernde Träume berichtet werden.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Erzählt uns von euren Träumen!
Für die Zukunft plant das Team, die mögliche Funktion des REM-Schlafs für die Abfallbeseitigung näher zu untersuchen. Außerdem überlegen die Forschenden, wie sie etwas über den Inhalt der Träume einer Taube erfahren könnten. „Wir hoffen, die Vögel so trainieren zu können, dass sie uns vermitteln können, ob und was sie gerade gesehen haben, wenn sie aus dem REM-Schlaf erwachen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um herauszufinden, ob sie träumen“, sagt Gianina Ungurean.
Aber auch ohne eine detaillierte Traumanalyse helfen uns die neuen Erkenntnisse, die Rolle des Schlafs besser zu verstehen – bei Vögeln ebenso wie beim Menschen. Sie verdeutlichen, wie wichtig der Schlaf für ein gesundes Gehirn und die Vorbeugung von kognitivem Verfall ist. Und sie legen nahe, dass das Träumen eine sehr lange Geschichte hat.
REM-Schlaf
REM-Schlaf/-/REM sleep
„REM“ steht für „rapid eye movement“ – und rasche Augenbewegungen sind auch charakteristisch für den REM-Schlaf. Im Laufe einer Nacht durchleben wir mehrere solcher REM-Phasen, die von non-REM-Phasen unterbrochen werden. REM-Schlaf zeichnet sich durch schnelle Augenbewegungen aus, niedrig-amplitudige Hirnaktivität gemischter Frequenzen sowie einem reduzierten Muskeltonus. Puls und Atemfrequenz sind dagegen erhöht. Zudem träumen wir während dieser Phasen besonders bildhaft und intensiv. Menschen, die aus dem REM-Schlaf geweckt werden, berichten häufig bildhafte, konkrete und auch emotionale Träume, während nach dem Wecken aus dem non-REM-Schlaf eher abstraktere und an Gedanken erinnernde Träume berichtet werden.
Originalpublikation
Gianina Ungurean*, Mehdi Behroozi*, Leonard Böger, Xavier Helluy, Paul-Antoine Libourel, Onur Güntürkün, Niels C. Rattenborg; Wide-spread brain activation and reduced CSF flow during avian REM sleep; Nature Communications, online 5. Juni 2023, DOI: 10.1038/s41467-023-38669-1
https://www.nature.com/articles/s41467-023-38669-1
Cerebrospinalflüssigkeit
Cerebrospinalflüssigkeit/Liquor cerebrospinalis/cerebrospinal fluid
Eine klare Flüssigkeit, die das Ventrikelsystem füllt, sowie das Gehirn im Schädel umspült und so vor Stößen schützt. Drei– bis fünfmal täglich werden die 100 bis 160 ml Flüssigkeit erneuert. Bestimmte Krankheiten spiegeln sich in der Zusammensetzung der Cerebrospinalflüssigkeit wieder.