Nicht nur mit den Augen sehen: Erregungsgrad beeinflusst Wahrnehmung
Das Gehirn moduliert visuelle Signale abhängig von inneren Zuständen, wie eine neue Studie von LMU-Neurowissenschaftlerin Laura Busse zeigt
Published: 15.05.2024
Was wir sehen, ist nicht einfach nur eine neuronale Repräsentation des optischen Eindrucks im Auge, sondern eine Interpretation dieses Bildes, bei der auch unsere Bedürfnisse und Erwartungen einfließen. Diese Faktoren werden durch frühere Erfahrungen geprägt und hängen auch von inneren Zuständen wie unserer Verhaltensaktivität und unserer Wachsamkeit oder Aufmerksamkeit ab – zusammen oft als „Erregungszustand" (engl. „arousal“) bezeichnet. In einer neuen Publikation, die kürzlich im Fachmagazin PLOS Biology veröffentlicht wurde, haben Forschende der LMU, der Universität Freiburg sowie des Bernstein Centers für Computational Neuroscience die neuronale Aktivität im visuellen Thalamus analysiert. Dabei handelt es sich um ein Hirnareal, das visuelle Signale direkt vom Auge über den Sehnerv empfängt, verarbeitet und weitergibt. Um genau zu sein: Sie untersuchten den thalamischen Nucleus dorsalis lateralis geniculae (dLGN), die primäre Schaltstelle für visuelle Signale von der Netzhaut zum visuellen Kortex.
Unsere Forschung zeigt, dass grundlegende visuelle Informationen in verschiedenen Phasen der Erregung mit unterschiedlichen Kodierungen an „höhere" Hirnareale übermittelt werden. Laura Busse
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
Thalamus dorsalis
Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus
Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Sehnerv
Sehnerv/Nervus opticus/optic nerve
Die Axone (lange faserartige Fortsätze) der retinalen Ganglienzellen bilden den Sehnerv, der das Auge auf der Rückseite an der Papille verlässt. Er umfasst ca. eine Million Axone und hat einen Durchmesser von ca. sieben Millimetern.
Nucleus
Nucleus/Nucleus/nucleus
Nucleus, Plural Nuclei, bezeichnet zweierlei: Zum einen den Kern einer Zelle, den Zellkern. Zum zweiten eine Ansammlung von Zellkörpern im Gehirn.
Netzhaut
Netzhaut/Retina/retina
Die Netzhaut oder Retina ist die innere mit Pigmentepithel besetzte Augenhaut. Die Retina zeichnet sich durch eine inverse (umgekehrte) Anordnung aus: Licht muss erst mehrere Schichten durchdringen, bevor es auf die Fotorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) trifft. Die Signale der Fotorezeptoren werden über den Sehnerv in verarbeitende Areale des Gehirns weitergeleitet. Grund für die inverse Anordnung ist die entwicklungsgeschichtliche Entstehung der Netzhaut, es handelt sich um eine Ausstülpung des Gehirns.
Die Netzhaut ist ca 0,2 bis 0,5 mm dick.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Was passiert da im Thalamus?
„Es ist seit Langem bekannt, dass die Neuronen des dLGN, wie auch die Neuronen in anderen thalamischen Kernen, auffällige Aktivitätsmuster aufweisen, die mit Erregung in Verbindung stehen“, erklärt LMU-Professorin Laura Busse , Leiterin der Studie und künftig Principal Investigator im Exzellenzcluster SyNergy . Insbesondere wurden zwei zustandsabhängige Feuerungsmodi beschrieben: Burst-Firing, das eher bei niedriger Erregung und Verhaltensinaktivität auftritt, und tonisches Feuern, das bei Wachsamkeit beobachtet wird. „Das hat zu der Hypothese geführt, dass Thalamuskerne Burst- und Tonic-Firing-Modi verwenden, um den Informationsfluss zu und zwischen kortikalen Bereichen je nach Erregungszustand des Tieres dynamisch zu steuern oder zu verändern.“ Experimentell überprüft wurde diese These bisher aber noch nicht. „Die neuronalen Mechanismen, mit denen Erregung die Verarbeitung visueller Informationen beeinflusst, sind nach wie vor ungeklärt.“
In der neuen Studie verglich Busses Team die im Thalamus gemessene Aktivität deswegen direkt mit dem Erregungsgrad. „Die Erregung spiegelt sich im Pupillendurchmesser von Säugetieren wider, wobei größere Pupillen auf einen erregten Zustand hindeuten“, erläutert die Neurobiologin. Auf diese Weise könne man anhand von Veränderungen in der Pupillengröße auf den Erregungszustand eines Tieres schließen. Die gekoppelte Untersuchung von Thalamus- und Pupillenaktivität half Busses Team, den Zusammenhang zwischen Thalamus-Aktivität und Erregungsgrad mit klareren Augen zu sehen.
Neuron
Neuron/-/neuron
Das Neuron ist eine Zelle des Körpers, die auf Signalübertragung spezialisiert ist. Sie wird charakterisiert durch den Empfang und die Weiterleitung elektrischer oder chemischer Signale.
Thalamus dorsalis
Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus
Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Sinneseindrücke werden moduliert
„Wir entdeckten, dass während bestimmter Phasen der Pupillenerweiterung und -verengung unterschiedliche Muster neuronaler Aktivierung auftreten“, so Professor Christian Leibold von der Universität Freiburg und dem Bernstein Center für Computational Neuroscience, ebenfalls Autor der Studie. „Die elektrische Aktivität im visuellen Thalamus ist über zeitliche Skalen von Sekunden bis mehrere Minuten mit der Pupillendynamik gekoppelt.“ Diese Verschiebung der neuronalen Aktivitätsmuster bei Erregung war robust: Sie hing nicht von anderen Faktoren ab, wie zum Beispiel davon, was das Tier sah und ob es sich bewegte, still saß oder seine Augen bewegte.
„Unsere Forschung zeigt also, dass grundlegende visuelle Informationen in verschiedenen Phasen der Erregung mit unterschiedlichen Kodierungen an ‚höhere‘ Hirnareale wie den visuellen Kortex übermittelt werden“, meint Neurobiologin Laura Busse. Das liefere eine erste mechanistische Erklärung dafür, wie die visuelle Wahrnehmung durch Veränderungen des Erregungszustands beeinflusst werden könne. „Unsere Ergebnisse stützen die Annahme, dass die erregungsabhängige Modulation kein singulärer Prozess ist, sondern wahrscheinlich ein Zusammenspiel von Veränderungen, die über verschiedene Zeitebenen hinweg stattfinden.“
Thalamus dorsalis
Thalamus dorsalis/Thalamus dorsalis/thalamus
Der Thalamus ist die größte Struktur des Zwischenhirns und ist oberhalb des Hypothalamus gelegen. Der Thalamus gilt als „Tor zum Bewusstsein“, da seine Kerne Durchgangstation für sämtliche Information an den Cortex (Großhirnrinde) sind. Gleichzeitig erhalten sie auch viele kortikale Eingänge. Die Kerne des Thalamus werden zu Gruppen zusammengefasst.
Auge
Augapfel/Bulbus oculi/eye bulb
Das Auge ist das Sinnesorgan zur Wahrnehmung von Lichtreizen – von elektromagnetischer Strahlung eines bestimmten Frequenzbereiches. Das für den Menschen sichtbare Licht liegt im Bereich zwischen 380 und 780 Nanometer.
Cortex
Großhirnrinde/Cortex cerebri/cerebral cortex
Der Cortex cerebri, kurz Cortex genannt, bezeichnet die äußerste Schicht des Großhirns. Sie ist 2,5 mm bis 5 mm dick und reich an Nervenzellen. Die Großhirnrinde ist stark gefaltet, vergleichbar einem Taschentuch in einem Becher. So entstehen zahlreiche Windungen (Gyri), Spalten (Fissurae) und Furchen (Sulci). Ausgefaltet beträgt die Oberfläche des Cortex ca 1.800 cm2.
Wahrnehmung
Wahrnehmung/Perceptio/perception
Der Begriff beschreibt den komplexen Prozess der Informationsgewinnung und –verarbeitung von Reizen aus der Umwelt sowie von inneren Zuständen eines Lebewesens. Das Gehirn kombiniert die Informationen, die teils bewusst und teils unbewusst wahrgenommen werden, zu einem subjektiv sinnvollen Gesamteindruck. Wenn die Daten, die es von den Sinnesorganen erhält, hierfür nicht ausreichen, ergänzt es diese mit Erfahrungswerten. Dies kann zu Fehlinterpretationen führen und erklärt, warum wir optischen Täuschungen erliegen oder auf Zaubertricks hereinfallen.
Originalpublikation
Davide Crombie, Martin A. Spacek, Christian Leibold & Laura Busse: Spiking activity in the visual thalamus is coupled to pupil dynamics across temporal scales. PLOS Biology (2024)