Ernährung werdender Väter entscheidet mit über die Gesundheit der Kinder
Eine aktuelle Studie von Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung liefert neue Erkenntnisse darüber, wie Ernährung und Übergewicht von Vätern die Gesundheit ihrer Kinder beeinflussen können – schon vor der Zeugung. Die Ergebnisse der Untersuchung können helfen, Maßnahmen für die Gesundheitsvorsorge von Männern mit Kinderwunsch zu entwickeln: Je gesünder die Ernährung der werdenden Väter, desto geringer ist das Risiko der Kinder, im Lauf ihres Lebens Übergewicht oder Erkrankungen wie Diabetes zu entwickeln.
Published: 05.06.2024
Dr. Raffaele Teperino, Leiter der Forschungsgruppe „Umwelt-Epigenetik“ bei Helmholtz Munich, hat mit seinem Forschungsteam den Einfluss der väterlichen Ernährung und des Übergewichts auf die Gesundheit ihrer Kinder untersucht – und zwar den Einfluss der Ernährung vor dem Zeitpunkt der Zeugung. Die Wissenschaftler:innen konzentrierten sich dabei auf spezielle kleine RNA-Moleküle in Spermien, so genannte mitochondriale tRNA-Fragmente (mt-tsRNAs, siehe Hintergrund). Diese RNAs spielen eine Schlüsselrolle bei der Vererbung von Gesundheitsmerkmalen, indem sie die Genexpression regulieren.
Für ihre Studie verwendeten die Forschenden Daten von mehr als 3000 Familien der LIFE-Child-Studie der Universität Leipzig. Die Analysen zeigten, dass das Körpergewicht des Vaters das Gewicht der Kinder und ihre Anfälligkeit für Stoffwechselkrankheiten beeinflusst. Dieser Einfluss besteht unabhängig von anderen Faktoren wie dem Gewicht der Mutter, der elterlichen Genetik oder Umweltbedingungen.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Die Ernährung des Vaters hat Einfluss auf die Kinder
Um die Ergebnisse ihrer Analyse zu überprüfen, führte das Forschungsteam anschließend Experimente mit Mäusen durch. Diese erhielten eine Hochfettdiät, also Nahrung mit einem höheren Fettgehalt als eine normale Diät. Das hatte Auswirkungen auf die Geschlechtsorgane der Tiere, auch auf die Nebenhoden. Der Nebenhoden ist der Bereich im männlichen Fortpflanzungssystem, in dem frisch gebildete Spermien heranreifen. „Unsere Studie zeigt, dass Spermien, die im Nebenhoden der Mäuse einer Hochfettdiät ausgesetzt sind, zu Nachkommen mit erhöhter Neigung zu Stoffwechselerkrankungen führen“, sagt Raffaele Teperino.
Um die Erkenntnisse zu vertiefen, führte das Forschungsteam zusätzliche Untersuchungen im Labor durch. Dabei wurden Embryonen mit In-vitro-Fertilisation erzeugt (Befruchtung „im Reagenzglas“). Verwendete Teperinos Team Spermien von den Mäusen, die der Hochfettdiät ausgesetzt waren, fanden sie mt-tsRNAs dieser Spermien in frühen Embryonen, die Genexpression signifikant beeinflussten. Dies hat wiederum Auswirkungen auf die Entwicklung und Gesundheit der Nachkommen. „Dies ist das erste Mal, dass wir eine solche molekulare Verbindung über Generationen hinweg beobachten konnten“, sagt Raffaele Teperino. „Durch die Demonstration der Übertragung nicht-genetischer väterlicher Bestandteile in Embryonen zeigen wir einen bisher unbekannten Aspekt der Vererbung.“
„Unsere Hypothese, dass im Laufe des Lebens erworbene Eigenschaften wie Diabetes oder Adipositas über Generationen mittels epigenetischer Mechanismen weitergegeben werden, wird durch diese Studie bestärkt. Die Epigenetik dient hierbei als molekulare Schnittstelle zwischen Umwelt und Genom, auch über Generationengrenzen hinweg. Dies geschieht nicht nur über die mütterliche, sondern – wie unsere Forschungsergebnisse zeigen – auch über die väterliche Linie“, erklärt Prof. Martin Hrabě de Angelis, Ko-Autor der Studie und Forschungsdirektor Helmholtz Munich.
Epigenetik
Epigenetik/-/epigenetics
Mit dem Begriff „Epigenetik“ fassen Biologen alle Prozesse zusammen, die das Erscheinungsbild eines Organismus über die Regulation von Genaktivitäten beeinflussen, ohne dass die Abfolge der DNA-Bausteine verändert wird. Dies geschieht beispielsweise dadurch, dass die Zelle bestimmte Abschnitte der Erbsubstanz chemisch modifiziert und sie auf diese Weise dauerhaft oder vorübergehend stilllegt. So haben Frauen zwar in jeder Körperzelle zwei X-Chromosomen vorliegen; jeweils eines davon ist aber so fest verpackt, dass es nicht in Aktion tritt.
Gesundheitsvorsorge für Männer mit Kinderwunsch
Die Erkenntnisse der Forschenden bei Helmholtz Munich unterstreichen die Rolle der väterlichen Gesundheit vor der Zeugung – und bieten neue Ansätze für die Gesundheitsvorsorge: „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Gesundheitsvorsorge für Männer mit Kinderwunsch mehr Aufmerksamkeit erfahren und Programme dafür entwickelt werden sollten, beispielsweise mit Blick auf die Ernährung“, so Teperino. „Damit lässt sich das Risiko von Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes bei Kindern verringern.“
Aufmerksamkeit
Aufmerksamkeit/-/attention
Aufmerksamkeit dient uns als Werkzeug, innere und äußere Reize bewusst wahrzunehmen. Dies gelingt uns, indem wir unsere mentalen Ressourcen auf eine begrenzte Anzahl von Bewusstseinsinhalten konzentrieren. Während manche Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, können wir andere kontrolliert auswählen. Unbewusst verarbeitet das Gehirn immer auch Reize, die gerade nicht im Zentrum unserer Aufmerksamkeit stehen.
Hintergrund: Der indirekte Einfluss der Väter
Mitochondrien
Mitochondrien/-/mitochondria
Mitochondrien sind Organellen im Inneren einer Zelle, sie werden auch als „Kraftwerk“ der Zellen bezeichnet, da sie diese mit Energie versorgen. Sie haben eine eigene DNA, die nur über die Mutter vererbt wird.
Gen
Gen/-/gene
Informationseinheit auf der DNA. Den Kernbestandteil eines Gens übersetzen darauf spezialisierte Enzyme in so genannte Ribonukleinsäure (RNA). Während manche Ribonukleinsäuren selbst wichtige Funktionen in der Zelle ausführen, geben andere die Reihenfolge vor, in der die Zelle einzelne Aminosäuren zu einem bestimmten Protein zusammenbauen soll. Das Gen liefert also den Code für dieses Protein. Zusätzlich gehören zu einem Gen noch regulatorische Elemente auf der DNA, die sicherstellen, dass das Gen genau dann abgelesen wird, wenn die Zelle oder der Organismus dessen Produkt auch wirklich benötigen.
Originalpublikation
Tomar, Gomez-Velazquez, Gerlini et al. (2024): Epigenetic inheritance of diet-induced and sperm-borne mitochondrial RNAs. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-07472-3